Der 85 Meter hohe Leopoldtower in der Seyringer Straße in Wien-Floridsdorf zieht schon von weitem die Blicke auf sich.

Foto: querkraft architekten / Lukas Dostal

Das etwas gewöhnungsbedürftige Farbkonzept in den Gängen und im Foyer des Leopoldtowers stammt von Heimo Zobernig.

Foto: Stephan Doleschal

Wien – "Der Ausblick aus unserer Wohnung ist einfach ein Traum", sagt Nodira Azanova. "Wir schauen nach Süden, direkt auf die Innenstadt, und sogar den Stephansdom können wir von unserem Wohnzimmer aus sehen."

Die 27-Jährige stammt aus Usbekistan. Gemeinsam mit ihrem Mann, der in der Uno arbeitet, und ihren beiden Kleinkindern wohnt sie in einer Eigentumswohnung im zehnten Stock. Drei Zimmer mit Balkon für 275.000 Euro, das sei durchaus okay. "Andere Wohnprojekte waren deutlich teurer", so Azanova.

U1 vor der Tür

Einen Stock unter ihr wohnt die Psychologie-Studentin Christine Pufitsch. Die 23-Jährige hatte es auf eine Wohnung mit guter öffentlicher Anbindung zur Uni abgesehen. "Die U1 fährt praktisch an der Wohnungstür vorbei, und auch sonst ist mit den Geschäften im Einkaufszentrum Citygate alles da, was man zum täglichen Leben braucht."

55 Quadratmeter bewohnt sie in Miete. Dazu gibt es einen rund zehn Quadratmeter großen Balkon. Die einmalige Mietvorauszahlung in der Höhe von 30.000 Euro – ja, so heißt der Betrag im Bauträgerfachjargon – bekommt sie bei Auszug wieder zurückerstattet. "Das passt alles ganz gut. Nur die Gegend ... na ja, Industrie und Gewerbe halt."

Der Leopoldtower mit seinen 26 Stockwerken und insgesamt 302 Wohnungen wurde im Sommer an die Bewohnerinnen und Bewohner übergeben. Der 85 Meter hohe Turm in der Seyringer Straße 5, der schon von weitem sichtbar aus der Ebene des beginnenden Marchfelds emporschießt, ist nicht nur die bauliche Antwort auf den steigenden Wohnbedarf in Wien, sondern auch eine Alternative zu den immer schwieriger zu finanzierenden Baugründen, die den gemeinnützigen Bauträgern zur Verfügung stehen. Das komplette Haus wurde freifinanziert – ohne einen einzigen Cent Fördergeld.

"Als gemeinnütziger Bauträger kommt man heute kaum noch an leistbare Grundstücke heran", sagt Michael Pech, Vorstand des Österreichischen Siedlungswerks (ÖSW), im Gespräch mit dem STANDARD. "In Zusammenspiel mit den gestiegenen technischen und baurechtlichen Anforderungen gibt es manchmal keine andere Möglichkeit, als so ein Projekt außerhalb des enggesteckten Rahmens der Förderbarkeit zu errichten."

Unterschiedliche Typologien

Leistbar im herkömmlichen Sinne, meint Pech, seien die Wohnungen dennoch – zumindest ein großer Teil davon. Denn schließlich werden im Leopoldtower viele unterschiedliche Wohntypologien miteinander vermischt, wodurch sich die Möglichkeit ergibt, günstigere Mietwohnungen, die Mieten im durchaus förderbaren Bereich aufweisen, mit hochwertigeren Eigentumswohnungen und möblierten Apartments auf Zeit querzufinanzieren. Unterm Strich ergibt sich ein wirtschaftliches Nullsummenspiel für den einen, ein Mix an günstigen und hochwertigen Wohnräumen für den anderen.

"Wir gehen schon lange mit der Idee schwanger, ein freifinanziertes Wohnhochhaus zu errichten", so Pech. "Vor vier Jahren schon hatte ich dieses Projekt erstmals auf dem Schreibtisch, aber damals hatte ich mich noch nicht drübergetraut. Mittlerweile sehe ich dringenden Handlungsbedarf. Wien wächst rasant, die Gesellschaft verändert sich, und mittlerweile sind 45 Prozent aller Wohnungen in Wien Singlehaushalte."

Kurzzeitapartments

Entsprechend vielfältig sieht das Spektrum der angebotenen Wohnungen aus: In den untersten fünf Geschoßen gibt es 107 vollmöblierte Kurzzeitapartments, die man für zwei Monate bis zwei Jahre mieten kann. Betreiberin dieser rund 40 Quadratmeter großen Wohnungen, die sich an Expats, Auslandsstudierende und Menschen in verzwickten familiären Verhältnissen wie etwa Trennung und Scheidung richten, ist die ÖSW-Tochter room4rent.

Fatima Afshar ist eine von ihnen. Die 40-jährige Studentin aus dem Iran wohnt mit ihrem Sohn im fünften Stock. "Es war alles da, nur das Geschirr und den Teppich habe ich selbst kaufen müssen", sagt Afshar, die in Wien American Studies und English Literature studiert. "Ich miete die Wohnung für zwei bis drei Monate. Auf diese Weise habe ich genügend Zeit, um mich nach einer passenden Wohnung umzuschauen, ohne Druck und ohne Stress."

"Maximal flexibel"

In den Stockwerken sechs bis neun gibt es 36 kompakte Smart-Wohnungen auf Mietbasis (ÖSW), vom zehnten bis zum 17. Stockwerk 72 freifinanzierte Eigentumswohnungen (Bauträger Wohnungseigentum), darüber schließlich exklusive Eigentumswohnungen und Penthouses, die die beiden Bauträger 360°, ebenfalls eine ÖSW-Tochter, und 6B47 Real Estate Investors vermarkten. Die Quadratmeterpreise hier oben in den Wolken liegen bereits bei 4300 bis 5500 Euro. Ein Penthouse ist bereits weg, drei seien noch zu haben, so Pech.

Nicht von ungefähr erinnert die Architektursprache ein wenig an den benachbarten 100 Meter hohen Citygate-Tower, den die Stumpf AG errichtete. Beide Hochhäuser wurden vom Wiener Architekturbüro querkraft geplant. "Das Rezept ist ganz einfach", meint Architekt Gerd Erhartt. "Es gibt tragende Außenwände, einen tragenden Stiegenhauskern, alles andere dazwischen ist in Leichtbau errichtet – auch die Wohnungstrennwände." Auf diese Weise sei das Hochhaus maximal flexibel. "Vom Loft bis zur Kleinstwohnung ist alles möglich", so Erhartt. Das zugegebenermaßen gewöhnungsbedürftige Farbkonzept in den Gängen stammt von Heimo Zobernig. In düster dunkelgrün und vorletztklassig violett ausgepinselten Korridoren heimzukommen ist nicht jedermanns Sache.

Fehlende Aufzüge

Einziger Knackpunkt des Leopoldtowers ist ausgerechnet jenes Ding, mit dem das Funktionieren eines Hochhauses steht und fällt. "Wissen Sie, es lebt sich hier wirklich gut", sagen Karin und Ibrahim Yildiz, die im 14. Stock wohnen. "Aber dass es für die Wohnungen im Hochhaus nur zwei Lifte gibt, ist eine Katastrophe. Manchmal stehen wir in der Früh fünf, sechs, sieben Minuten lang da und warten, bis der Aufzug da ist. Da überlegt man sich dreimal, ob man in die Wohnung zurückfährt, wenn man etwas vergessen hat." Sieht so Lebensqualität aus?

Nach Auskunft Pechs beträgt das Investitionsvolumen "etwas über 50 Millionen Euro". Ein paar Promille drauf, und der Leopoldtower wäre ein hochwertiges, in sich schlüssiges Hochhaus mit einer entsprechend hochwertigen Erschließung geworden. Die Kür des 85 Meter hohen Turms, dessen Innenleben auf mehrere Bauträger und mehrere Wohnmodelle aufgeteilt wurde, ist gelungen und ein gutes Beispiel für alternative Finanzierung im teuer gewordenen Wien. Warum ausgerechnet an der Pflicht gespart wurde, bleibt ein Rätsel. Den rund 600 Bewohnern des Hauses ist man eine Erklärung (oder noch besser ein paar Aufzüge) schuldig. (Wojciech Czaja, 21.10.2015)