Winters "echtes Anliegen".

Screenshot: Facebook-Eintrag

Vorzüglich von Medien "abseits des Mainstreams" wie "nachgerichtet.is".

Screenshot: Facebook-Eintrag

Mittwochabend wurde in der Urania das "Goldene Brett vorm Kopf" verliehen. Die österreichische Parlamentarierin Susanne Winter (FPÖ) war unter den drei Nominierten des Satirepreises. Meine Favoritin war sie schon lange: bei meiner Suche nach Quellen der ebenso bizarren wie facettenreichen Szene der Verschwörungstheoretiker. Ihre Facebook-Seite ist die Fundgrube schlechthin für skurrile, aber nicht harmlose Medienportale, für Web-Knotenpunkte von Esoterik und rechter Szene, für Andeutungen, die sich bedeutungsschwer geben.

Winters Welt dreht sich längst nicht nur um die in der Nominierung erwähnten Standpunkte zum Klimawandel. Der "EU-Wahnsinn", das "Schuldgeld", die Systemmedien – Winter nennt solche Dinge beim Namen. Sie nennt sie so redundant und penetrant beim Namen, dass ich mir auch die Frage stelle, ob 8.583 Euro Ausgangsbetrag für eine Parlamentarierin, die beinahe täglich flache Sprüche klopft, angemessen sind.

Große Fragen der Zeit

Winter verkündet in ihrer Facebook-Chronologie Parolen zu den großen Fragen der Zeit nicht lauthals und polemisch. Sie übt den feinen Witz und die subtile Frage: "Gibt es eine Weltwährung auf geheimen Konten, an der wir nicht teilhaben können? Konten, auf denen 'unsere' Schulden als Guthaben aufscheinen?" Winter nimmt ihren Facebook-Lesern damit die Last von den Schultern, sich durch 900 Seiten von Pikettys "Das Kapital im 21. Jahrhundert" zu quälen, um den Kapitalismus, seine Strippenzieher und die Hintermänner zu erkennen. In wenigen Zeilen und wortgewandt gibt sie Antworten. Etwa: "EU: Mißbrauch des Systems der Volkssouveränität zur Installation eines Systems der (Hochfinanz-)Bankenwirtschaft."

Wer sich darüber wundert, von dem von Winter eifrig beworbenen EU-Autrittsvolksbegehren nicht viel gelesen zu haben: Die Nationalrätin kritisiert auch die "Systemmedien". Dabei ist ihr "freier Journalismus ein echtes Anliegen". Und, ganz ehrlich, kann man dieses Credo einer Frau ernsthaft absprechen, die laut Parlamentskorrespondenz Wladimir Putin als Vorbild bezeichnet?

Medien "abseits des Mainstreams"

Man muss in der digitalen Visitenkarte der Parlamentarierin, ihrer Facebook-Timeline, recht lange nach untern scrollen, um einen Verweis auf Berichte in "Profil", "FAZ", STANDARD oder "Spiegel" zu finden. Aber ganz schnell findet man Hinweise auf Medien "abseits des Mainstreams": "Killuminati", "Info-Blog", die "Wissensmanufaktur" und "Klagemauer TV".

"Klagemauer TV" gehört dem Schweizer Ivo Sasek. Der Medienunternehmer ist als Gründer der "Organischen Christus-Organisation" quasi mit Segen von oben ausgestattet. "Systemmedien" nennen den Mann schon mal Sektierer oder einen rechtsoffenen Verschwörungstheoretiker. Bei der von ihm veranstalteten "Anti-Zensur-Koalition" darf schon mal nachgefragt werden, wie das mit dem Holocaust denn war und ob. Von Leuten wie Sylvia Stolz, die, erraten, von "Systemmedien" als Holocaustleugnerin bezeichnet wird und vom "System" dafür verurteilt wurde. Winter verlinkt auch auf aktuelle Analysen des Verschwörungsportals, die knallhart den Dingen auf den Grund gehen: "Der VW-Skandal – ein Wirtschaftskrieg gegen Deutschland?"

Fast täglich nimmt Winter es auf sich, ihre Facebook-Freunde mit der Nase auf Quellen zu stoßen, die die Dinge klarer sehen lassen sollen. Ganz aktuell ist der Verweis auf die Webseite nachgerichtet.is. Dort erfährt man nicht nur, wie ungerecht es in deutschen TV-Diskussionen zugeht, in denen Patrioten der AfD gegen Volksverräter aller Couleurs und gegen Moderator Günther Jauch antreten müssen. Kaum sehe ich mich auf dieser mir bislang unbekannten Seite näher um, bin ich schon wieder beim leidigen Thema Geschichte. Ein Beitrag klärt mich darüber auf, dass sich die Rothschilds nicht mit der Kontrolle aller Medien begnügen, sondern dass sie auch die Nationalsozialisten finanziert, nebenbei die Bolschewiken großgemacht haben und ihre Finger bei 9/11 drinnen hatten.

Das "Goldene Brett vorm Kopf", Winter hätte es verdient gehabt. Auch wenn sich die Juristin nie zum Thema Klimawandel geäußert hätte. (Christian Kreil, 21.10.2015)