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Die Stechuhr kam bei einem Pilotprojekt in Schweden schon nach sechs Stunden Arbeit wieder zum Einsatz.

Foto: APA / Peter Endig

Weniger Krankenstände, weniger Überstunden, größere Zufriedenheit: Das sind die Ergebnisse des Pilotprojekts "Sechs-Stunden-Arbeitstag", das Göteborg dieses Jahr gewagt hat. Daniel Bernmar, stellvertretender Bürgermeister der zweitgrößten Stadt Schwedens und Teil einer rot-grünen Stadtregierung, berichtete bei einer Tagung im Wiener Arbeiterkammer-Bildungszentrum zu "40 Jahre 40-Stunden-Woche in Österreich. Und jetzt? Impulse für eine geschlechtergerechte Arbeitszeitpolitik" über den Modellversuch. Seit Februar ist in dem städtischen Altenheim Svartedalen die Arbeitszeit auf sechs Stunden täglich reduziert – bei vollen Bezügen.

Weniger gestresst, glücklicher

"Es war uns von Anfang an wichtig, das Projekt sehr genau zu evaluieren, um die Auswirkungen auf das Personal, aber auch auf die allgemeinen ökonomischen Effekte hin zu untersuchen. Seit einer Woche liegen die ersten Zwischenergebnisse vor", so Bernmar. Nicht nur die wirtschaftlichen Effekte hätten sich eingestellt, auch die individuelle Zufriedenheit der Betreuten wie der Betreuenden sei gestiegen: "Die Pflegerinnen und Pfleger bezeichnen sich als gesünder, weniger gestresst, glücklicher, die Insassen als besser betreut."

Dreieinhalb Jahre lang habe man den Modellversuch vorbereitet, das Altenheim ganz bewusst ausgewählt, "weil hier hauptsächlich Frauen arbeiten". Es gebe überwiegend Studien zu männerdominierten Berufen, man habe den Fokus bewusst anders gelegt.

Vergleichsgruppe vorhanden

60 plus 14 extra für das Projekt Angestellte umfasse die Studie mit einer entsprechend großen Vergleichsgruppe in einem anderen städtischen Altenheim, in dem die Arbeitszeiten nicht verändert wurden. Zwei Jahre wird der Versuch dauern, also bezeichnet Bernmar die nun vorliegenden Zwischenergebnisse als "Indikatoren". Interesse und Medienecho seien jedenfalls schon jetzt gewaltig, selbst aus Taiwan reisten Besucherinnen und Besucher an, internationale Zeitungen berichteten.

"Wir brauchen genaue Daten", betont Bernmar. Das lässt sich die Gemeinde auch etwas kosten: 800.000 Euro im Jahr, so rechnet er vor, minus rund 200.000, die zum Beispiel durch den Wegfall von Krankenständen und Überstunden gegengerechnet werden könnten. Im schwedischen Ort Kiruna laufe ein ähnliches Projekt bereits seit 16 Jahren, bloß habe dort "niemand evaluiert". Auch bei Toyota und in einer orthopädischen Klinik habe man in der Vergangenheit ähnliche Versuche gestartet, da sei es aber darum gegangen, "mit weniger Stunden bei gleichem Gehalt eine höhere Effizienz beziehungsweise Produktivität zu erzielen". Das sei nicht der Fokus des Projekts in Göteborg: "Wir wollen eine breite gesellschaftliche Diskussion anregen."

Diese scheint notwendig zu sein: Bei einem historischen Rückblick auf die Einführung der 40-Stunden-Woche in Österreich im Jahr 1975 bemerkte Zeitzeuge Heinz Dürr, früherer Sekretär der Metallergewerkschaft, launig, dass sich seit der Einführung der Fünf-Tage-Woche in Österreich "nicht mehr viel" getan habe.

Industrie 4.0

Warum die Frage nach der Arbeitszeitpolitik so eine unangenehme ist, beleuchtete Ingrid Kurz-Scherf, emeritierte Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Marburg. Ihr geht es nicht nur um "technokratische Fragestellungen", sondern ums Prinzip – "die gesellschaftspolitische Weichenstellung". Hierbei stelle sich die Frage, ob das Konzept der "Arbeitszeitverkürzung" nicht schon längst von einer von der Wirtschaft diktierten reinen Diskussion über "Flexibilisierung" abgelöst worden sei.

Sei es, verkürzt gesagt, die Idee der Industrialisierung gewesen, mit immer weniger Arbeit immer mehr Wohlstand zu erreichen, habe man dieses "große Versprechen der Moderne aufgegeben". Heute werde es als "Fluch", nicht als "Privileg" gesehen, keine Arbeit zu haben.

In der Industrie 4.0 werde die "Digitalisierung als Maßstab des Fortschritts" genommen –jene Digitalisierung, die Arbeit, wie wir sie bis jetzt kennen, weitgehend unnötig machen könnte. Eine lohnende Alternative zu dieser "Mainstreamdebatte" sei ein genauer Blick auf die "Care-Revolution". Nur dort, wo "sich gekümmert" werde, also im Pflege- und Bildungsbereich, entstünden überhaupt noch neue Jobs. Hier schließt sich der Kreis zum schwedischen Modellversuch: Auch er ist nicht zufällig im sozialen Dienstleistungsbereich angesiedelt. Insofern, so Kurz-Scherf, sei ein feministischer Blick auf Arbeitsmarkt- und Arbeitszeitpolitik gerade heute lohnend. (Tanja Paar, 22.10.2015)