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14. Juni 1990, Bukarest: Bergarbeiter aus dem Jiu-Tal attackieren regierungskritische Demonstranten ...

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... Die Fäden soll der damalige Präsident Ion Iliescu (Bild aus 2007) gezogen haben.

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Bukarest/Sibiu – Ion Iliescu, Rumäniens erster Nachwendepräsident, ist seit Mittwoch Protagonist einer als historisch geltenden Strafverfolgung: Er muss sich wegen der gewaltsamen Repression der Proteste vom Juni 1990 verantworten. Im Zusammenhang mit vier der damaligen Todesopfer wird er außerdem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Der heute 85-Jährige Exstaatschef habe – so die Anklage – die Bergleute aus dem Jiu-Tal ermutigt, zu Tausenden mit Sonderzügen nach Bukarest zu reisen, um die regimekritischen Proteste zu ersticken.

Bei den drei Tage anhaltenden Ausschreitungen, die nach der rumänischen Bezeichnung für Bergleute, "mineri", als "Mineriada" in die Geschichte eingingen, kamen sechs Menschen ums Leben, drei wurden durch Schüsse verletzt, rund tausend erlitten andere Verletzungen oder wurden Opfer unrechtmäßigen Freiheitsentzugs. Die Bergleute gingen mit Knüppeln auf die Demonstranten los, verleumdeten Regimekritiker und Oppositionspolitiker und verwüsteten Büros der Oppositionsparteien, weil dort angeblich Falschgeld, Drogen oder Waffen versteckt worden seien.

"Wir möchten, dass dieser Platz durch Sie besetzt wird"

Tonaufnahmen belegen, dass Iliescu den Bergleuten am 14. Juni 1990 "für die arbeiterschaftliche Solidarität, mit der Sie auf unseren Ruf geantwortet haben" dankte und Ihnen das weitere Vorgehen nahelegte: "Die Delegation der Bergleute (...) wird sich nun in Richtung des Universitätsplatzes bewegen. Wir möchten, dass dieser Platz durch Sie neu besetzt wird", so der damalige Staatschef. Nach der Gewaltwelle bedankte sich Iliescu nochmals vor den versammelten Bergleuten.

In einem Interview vom Jänner 2015 argumentierte Iliescu, dass die Forderungen der Demonstranten damals "nicht mit der Geisteslage im Land übereinstimmten" und er die Bergleute gar nicht hätte steuern können. Deren Vehemenz erkläre sich durch die Bedrohung des Bergbaus im neuen wirtschaftlichen Kontext. Sie hätten Erwartungen an die Regierung gehabt und "aus Solidarität gegen rückwärtsgerichtete Kräfte" gehandelt, so Iliescu.

Verfahren 2015 wiederaufgenommen

Nur wenige Monate nach dem Sturz des Diktators Nicolae Ceauşescu im Dezember 1989 hatten Tausende Bukarester wochenlang friedlich auf dem Universitätsplatz gegen das demonstriert, was sie als "kryptokommunistisches Regime" empfanden – es galt, die von Ilies cu und seinen Vertrauten "gestohlene Revolution" zu retten. Unter anderem forderten sie, ehemaligen kommunistischen Kadern den Zugang zu wichtigen politischen Ämtern zu versperren. Iliescu selbst gehörte, bevor er politisch ins Abseits geriet, zur kommunistischen Nomenklatura – er war unter Ceausescu unter anderem Sekretär des kommunistischen Jugendvereins, Propagandachef des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei und Jugendminister.

Das Verfahren wurde im Februar 2015 wiederaufgenommen, nachdem es 2009 wegen mangelnder Beweise eingestellt worden war. Erst die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom September 2014, der wegen ausbleibender oder unzureichender Verfahren im Sinne der Kläger befand und den rumänischen Staat zu Entschädigungszahlungen verpflichtete, zwangen Rumänien zur Wiederaufnahme des Prozesses.

Parteiinterne Debatten

Iliescu wurde kürzlich der Ehrenvorsitz in der Sozialdemokratischen Partei (PSD) entzogen. Nachdem der neue Parteichef Liviu Dragnea die PSD ermahnt hatte, "sich für die Fehler der ersten Jahre nach der Revolution zu entschuldigen", entgegnete der bekannte PSD-Politiker Marian Oprisan, das damalige Vorgehen gegen die Demonstranten sei "völlig natürlich" gewesen und sprach von "kollateralen Opfern". Iliescu selbst war nach der Bekanntgabe der Anklagepunkte nicht zu einer Stellungnahme bereit. (Laura Balomiri, 21.10.2015)