Oleg Rostowzew steht auf dem Dach eines Hochhauses und blickt über die Dächer und Schornsteine von Dnipropetrowsk. Unter ihm, wo sich die Industriestadt im Osten der Ukraine an den Ufern des Dnepr ausbreitet, beginnt der Abend: Werbeschilder und Autoscheinwerfer blinken, dumpfe Bässe von einem Konzert irgendwo in der Stadt wabern die zwanzig Stockwerke des Gebäudes hoch bis zum Dach. Rostowzew ist Pressesekretär der jüdischen Gemeinde von Dnipropetrowsk, und das Hochhaus, auf dem er steht, gehört zum weltgrößten jüdischen Kulturzentrum, das 2012 unter dem Namen "Menorah" eröffnet wurde.

Rostowzew, ein großer Mann um die 50 mit kurzem Bart und rahmenloser Brille, erklärt bei einer Zigarette und mit ausladenden Gesten, dass es der jüdischen Gemeinde hier in der Stadt am Dnepr gutgeht. Das sei nicht immer so gewesen, aber seit dem Ende der Sowjetunion werde es besser. Das alles sagt er auf Russisch, denn sein Ukrainisch sei nicht besonders gut. Damit geht es ihm wie der Mehrheit der rund 990.000 Einwohner von Dnipropetrowsk. Russisch ist Alltagssprache, wie im Osten des Landes üblich.

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Das weltweit größte jüdische Kulturzentrum heißt Menorah und steht seit 2012 in Dnipropetrowsk, einer Industriestadt im Osten der Ukraine.
Foto: REUTERS/Gleb Garanich

Stahl, Rüstung, Raumfahrt

Schon zu Sowjetzeiten war Dnipropetrowsk ein Zentrum der Stahl-, Rüstungs- und Raumfahrtindustrie, und auch heute noch dominieren diese Industriezweige die Stadt. Die Skyline prägen Schornsteine und Hochhäuser, und es riecht, als stehe an jeder Ecke ein Maronibrater.

Wegen seiner wirtschaftlichen Bedeutung war es der neuen politischen Elite in Kiew nach den Maidan-Protesten wichtig, dass eine prorussische Stimmung in Dnipropetrowsk erst gar nicht aufkommt. Die Stadt sollte ein Bollwerk gegen die Separatisten werden, die im Osten des Landes für die Unabhängigkeit der Region kämpfen. Garant dafür sollte der heute 52-jährige Oligarch Ihor Kolomojski sein. Im März 2014 wurde er zum Gouverneur des Oblast Dnipropetrowsk ernannt. Sein Auftrag: die Loyalität zur Ukraine in der wichtigen Region im Osten garantieren.

Finanzier des Bataillons "Dnepr"

Kolomojski wird den Erwartungen gerecht: Aus seiner Privatkassa rüstet er beispielsweise das Bataillon "Dnepr" um rund zehn Millionen US-Dollar mit SUVs, Waffen und Uniformen für den Kampf gegen die Separatisten aus. Außerdem setzt er ein Kopfgeld von 10.000 Dollar auf die Ergreifung von Rebellen aus.

Oligarchen in ein politisches Amt zu hieven widerspricht zwar den Idealen der proeuropäischen Maidan-Bewegung in Kiew, die unter anderem das Ende der korrupten Schattenregierung der mächtigen Großindustriellen gefordert hat. Aber der neue Gouverneur im Oblast Dnipropetrowsk muss sich in den politischen und wirtschaftlichen Eliten der Region durchsetzen können, um russische Einflüsse in der Region zurückdrängen zu können. Das ist mit Kolomojski garantiert.

Finanzier des Kulturzentrums

Kolomojski hat als aktives Mitglied der 50.000 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde von Dnipropetrowsk auch beim Berichten zufolge 80 Millionen Dollar teuren Bau des Kulturzentrums Menorah tief in die Tasche gegriffen. Der Hochhauskomplex besteht aus sieben unterschiedlich hohen Türmen, die die Goldene-Rose-Synagoge umschließen. Drinnen sind Hotels, Veranstaltungssäle unterschiedlicher Größe, eine Konzerthalle für bis zu tausend Besucher, eine Galerie, Cafés, Restaurants und das drei Stockwerke einnehmende Museum zur Geschichte der Juden in der Ukraine.

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Ihor Kolomojski ist der drittreichste Mann der Ukraine. Für ein Jahr war der 52-jährige Oligarch Gouverneur des Oblast Dnipropetrowsk.
Foto: EPA/MYKHAYLO MARKIV

Gründung einer Bank

Kolomojski ist aber nicht bloß Unterstützer der jüdischen Gemeinde von Dnipropetrowsk. Der laut "Forbes" drittreichste Mann der Ukraine hat handfeste wirtschaftliche Interessen in seiner Heimatstadt. Kolomojski ist in Dnipropetrowsk geboren und aufgewachsen – wie auch die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko. 1985 beendete er sein Ingenieursstudium am Metallurgischen Institut der Stadt. Reich wurde er aber in einem anderen Sektor.

Anfang der 90er-Jahre gründete Kolomojski zusammen mit einem Kompagnon die Privat-Bank, die mittlerweile größte kommerzielle Bank der Ukraine, und legte so den Grundstein für sein Vermögen. Rund um die Bank entstand die Privat-Gruppe, ein Unternehmenskonglomerat, dessen Kerngeschäft im Eisen- und Stahlbereich in Dnipropetrowsk liegt. Auch der Fernsehsender 1+1 ist mehrheitlich in Kolomojskis Besitz, zudem kontrolliert er den Fußballverein Dnipro Dnipropetrowsk.

Ein Blick über die Dächer der Stadt Dnipropetrovsk.
Foto: Standard/Kampl

Entmachtung als Gouverneur

Während der Amtszeit von Wiktor Janukowitsch lebt Kolomojski hauptsächlich in der Schweiz. Sobald Janukowitsch sich im Februar 2014 nach dem Erfolg der Maidan-Proteste nach Russland verabschiedet hat, kommt er zurück in die Ukraine.

Im Frühjahr 2015 jedoch, nach einem Jahr im Amt, scheint der Gouverneur in Kiew in Ungnade gefallen zu sein. Er hat mit seinem privat ausgerüsteten Bataillon "Dnepr" das staatliche Gewaltmonopol herausgefordert. Das Bataillon ist zwar formell dem Innenministerium unterstellt, aber nicht Teil der ukrainischen Armee. Was in den ersten Monaten vielleicht nötig war, um den Separatisten im Osten militärisch die Stirn bieten zu können, ist Kiew nun doch nicht mehr ganz geheuer.

Konflikt mit Poroschenko

Inzwischen hat Petro Poroschenko das Präsidentenamt übernommen. Eingesetzt worden ist Kolomojski noch von dessen Vorgänger, dem Übergangspräsidenten Olexander Turtschynow. Poroschenko ist mit dem Versprechen angetreten, die Macht der Oligarchen einzudämmen. Und er beginnt diese Ankündigung umzusetzen.

Kolomojskis Einfluss bei den halbstaatlichen Öl- und Gasfirmen Ukrtransnafta und Ukrnafta wird massiv zurückgedrängt. Ein neues Gesetz setzt die Anwesenheitsquote für Entscheidungen von zuvor 60 Prozent der Eigentümer auf 51 Prozent herab. Kolomojski ist de facto entmachtet; lässt das aber nicht auf sich sitzen und schickt seine Milizen in die Firmenzentrale von Ukrnafta in Kiew. Zwei Dutzend Männer mit Tarnanzügen verbarrikadieren sich dort für einige Stunden. Kolomojskis Privat-Bank soll auch für einige Zeit die Konten Poroschenkos gesperrt haben.

Nach einem einstündigen Gespräch mit dem Präsidenten glätten sich die Wogen. Kolomojski tritt Ende März als Gouverneur des Oblast Dnipropetrowsk zurück, vier Kolomojski-nahe Abgeordnete aus Poroschenkos Block legen daraufhin ihr Mandat im Parlament in Kiew nieder. Der Machtkampf ist aber noch nicht zur Gänze ausgestanden.

Unterstützung für mehrere Parteien

Bei der am Sonntag anstehenden Kommunalwahl steht Kolomojski nicht als Kandidat auf einer Liste. Im Hintergrund aber unterstützt er gleich zwei der insgesamt 132 antretenden Parteien finanziell, um seinen Einfluss weiterhin zu sichern. Er unterstützt die erst im Juni gegründete Partei Ukrop (die Ukrainische Vereinigung der Patrioten), aber auch Kandidaten der Partei Samopomitsch, ukrainisch für Selbsthilfe, sollen vom Kolomojski gefördert werden.

Im Menorah-Zentrum in Dnipropetrowsk wurde unterdessen Ende Oktober über die wirtschaftliche und politische Zukunft der Stadt diskutiert. Vertreter von sieben Parteien haben ein Memorandum unterzeichnet, in dem sie mehr Transparenz versprechen und Maßnahmen gegen Korruption auf lokaler Ebene ankündigen. Kolomojski ist dabei nicht persönlich anwesend. (Michaela Kampl, 23.10.2015)