Ein filmischer Umzug von Juri Leiderman und Andrej Silwestrow als Dokument der Spannungen in Odessa: "Auf Separatismus stehen sieben Jahre Gefängnis, wusstest du das?"

Foto: Kiew Biennale

Eigentlich hätte die zweite Ausgabe der Kiewer Biennale 2014 steigen sollen, das staatliche Kunstarsenal in Kiew hatte bereits die Wiener Hedwig Saxenhuber und Georg Schöllhammer als Kuratoren engagiert. Doch nach dem Sturz von Präsident Wiktor Janukowitsch im Februar 2014 wurde die Veranstaltung zunächst verschoben, im März ganz abgesagt. Das Kunstarsenal, hieß es, könne angesichts einer fortdauernden militärischen Aggression nicht für die Sicherheit der Biennale-Teilnehmer garantieren.

Als Reaktion setzten Saxenhuber und Schöllhammer einen mutigen Schritt – ganz im Einklang mit der zivilgesellschaftlichen Aufbruchstimmung. Die Kuratoren aus Österreich erklärten, die Biennale auch ohne staatliche Finanzierung durchführen zu wollen – als gemeinsame Initiative zahlreicher Kunstinstitutionen vor Ort und mit massiver Unterstützung aus dem Ausland.

Gelungenes Experiment

Das Resultat dieser Kraftanstrengung im Geiste des Maidan ist nunmehr tatsächlich zu bewundern. Trotz organisatorischer Probleme kann das Experiment als gelungen gelten. The School of Kyiv, so der Titel, ist die erste künstlerische Großveranstaltung in der Ukraine nach dem Maidan, in der umfassend über das Hier und Jetzt reflektiert wird. Die Kuratoren setzten dabei nicht nur auf Kunst – eine zentrale Rolle spielen "Schulen". Einen maßgeblichen Beitrag für diese Programmschiene liefert auch das Wiener Institut für die Wissenschaft vom Menschen, das im Rahmen einer "Schule des entführten Europas" Diskussionen organisiert.

Der künstlerische Part der School of Kyiv ist über die ganze Stadt verteilt, die Kuratoren verzichten dabei auf eine dominierende Kunstinstitution. Die zwei größten Ausstellungsteile sind im ausrangierten "Kleiderhaus" im Zentrum Kiews und im "Dowschenko-Zentrum", einem Industriebau an der Peripherie, zu sehen. Die Inszenierung fällt minimalistisch aus. Im "Kleiderhaus" konzentriert man sich auf Fragen der Abbildbarkeit, die paradigmatisch in einer Installation des Deutschen Till Gathmann vorgeführt wird. Der derzeit in Wien lebende Künstler setzt auf einem Tisch kunsttheoretische Texte von Paul Klee oder Zitate des ukrainischen Holocaust-Chronisten Anatoli Kusnezow mit abstrakten Strichzeichnungen in Beziehung.

Aber auch Hommagen an den aus Kiew gebürtigen Kasimir Malewitsch, den Schöpfer des Schwarzen Quadrats (1915), lassen sich auf Abbildungsfragen beziehen. Die Inderin Sheela Gowda ist mit Schrein für das Malewitsch-Quadrat und andere Abstraktionen präsent. Mit der Installation Die letzte futuristische Ausstellung, in der ein unter Pseudonym auftretender Künstler aus Belgrad 1985 die gleichnamige Ausstellung aus dem Jahr 1915 rekonstruierte, konnten die Kuratoren ein Schlüsselwerk der jugoslawischen Kunst importieren.

Spaltung einer Stadt

Im Kleiderhaus zeigt der aus Odessa stammende Juri Leiderman mit seinem russischen Kollegen Andrej Silwestrow den Film Odessa. Fragment 205, formal eine Hommage an zwei verstorbene Künstler. In einem dokumentierten Demonstrationszug tragen Vertreter der lokalen Szene Gemälde des Undergroundkünstlers Walentin Chruschtsch und rezitieren aus den letzten Facebook-Postings des 2014 verstorbenen Malers Oleg Petrenko, der aus seiner prorussischen Einstellung kein Hehl machte. Odessa galt zuletzt, insbesondere seit einer Brandkatastrophe 2014 mit fast 50 Toten, als äußerst gespalten. "Auf Separatismus stehen sieben Jahre Gefängnis", empört sich im Film die Schauspielerin Ute Kilter über die prorussische Aussage eines Mitdemonstranten.

David Tschitschkan präsentiert im Dowschenko-Zentrum sein Projekt Gegen Glauben, Ehre, Macht und für Anarchie, das in Form von Aufklebern zuletzt im ganzen Stadtgebiet von Kiew zu bemerken war. In den ausgestellten Sujets karikiert Tschitschkan prorussische Rebellen in der Ostukraine und ukrainische Rechtsradikale, er setzt sie gleich.

Vielleicht das zentrale Motiv dieser Biennale liefert jedoch Nikita Kadan. Abgesehen von zwei Stellagen, auf denen er eine heile kommunistische Kohlenbergarbeiterwelt mit der Zerstörung im Donbass kontrastiert, lässt er Reste eingesammelter Granaten im Stiegenhaus eines Museums baumeln. (Herwig G. Höller aus Kiew, 23.10.2015)