Madrid – EU-Ratspräsident Donald Tusk fordert ein Umsteuern in der europäischen Flüchtlingspolitik. "Wir können nicht länger erlauben, dass Solidarität mit Naivität gleichgesetzt wird, Offenheit mit Hilflosigkeit, Freiheit mit Chaos", sagte Tusk auf einem Treffen der europäischen Konservativen in Madrid am Donnerstag.

Tusk betonte, dass er damit die Situation an den Grenzen auf der sogenannten Balkan-Route meine. "Wir können nicht länger den Eindruck erwecken, dass die große Welle an Migranten etwas ist, was wir wollen und dass wir eine durchdachte Politik der offenen Grenzen verfolgen", fügte er hinzu. "Die Wahrheit ist: Wir haben unsere Fähigkeit verloren, unser Grenzen zu schützen. Und deshalb ist unsere Offenheit keine bewusste Wahl, sondern eine Schwäche." Dies wurde in Madrid als Kritik an der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel gewertet. Der aus Polen stammende Ratspräsident machte allerdings auch klar, dass er vor allem den Schutz der gemeinsamen EU-Außengrenzen meint. Diese müsse gemeinsam geschützt werden.

Zugleich kritisierte er in der Flüchtlingsdebatte scharf osteuropäische EU-Regierungen – ohne sie zu nennen: Man dürfe Populismus und Fremdenhass nicht nachgeben, "denn unser politisches Ziel sollte es sein, Europa gegen Rechtsextreme zu stärken – und nicht wie sie zu werden". Tusk sagte, dass in der Debatte um eine solidarische Lastenverteilung "schändliche Argumente" vorgebracht würden.

Juncker: Krise wird zu Weihnachten nicht enden

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich für eine dauerhafte Hilfsbereitschaft in der Flüchtlingskrise ausgesprochen. "Die Flüchtlingskrise wird zu Weihnachten nicht enden", sagte Juncker in Madrid. Juncker sagte, die Hilfe für die Flüchtlinge müsse "verantwortlich" geleistet werden und "auf Dauer angelegt" sein.

Juncker sagte, ihm lägen Zahlungszusagen über 2,3 Milliarden Euro vor, von denen aber erst 275 Millionen eingegangen seien. "Wir brauchen in Europa die Werte des Herzens, die wir allzu oft vergessen", sagte der Kommissionspräsident. Er plädierte für eine neue "Brüderlichkeit" mit Afrika.

Mitterlehner für "neuen Weg" in Flüchtlingspolitik

Auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) forderte in Madrid eine verstärkte Absicherung der EU-Außengrenzen sowie eine verbesserte Organisation der Erstaufnahmeprüfungen von Asylanten. Mit Blick auf die zunehmenden Flüchtlingsströme sprach sich Mitterlehner aber auch für mehr Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten aus und forderte einen "neuen Weg in der europäischen Flüchtlingspolitik, der auch die betroffenen Bürger mehr einschließen muss".

Vor allem sehe er bei der Verteilung der Immigranten "noch zu wenig Solidarität zwischen den EU-Staaten", erklärte Mitterlehner am Rande des Kongresses auch der APA. "Wir müssen eine andere Kultur des Miteinanders schaffen", appellierte er auf dem EVP-Kongress an den Gemeinschaftssinn der EU. Es war unter anderem eine Initiative der Österreichischen Volkspartei, die aktuelle Flüchtlings- und Asylproblematik zum Schwerpunkt des EVP-Treffens zu machen. (APA, 22.10.2015)