Der Slogan auf dem Plakat vor der Straßenabzweigung, die zu den Bergen führt, verspricht ein "freudiges Rendezvous auf purem Eis und Schnee". Die Zeichnungen zeigen Athleten beim Riesenslalom, beim Ski- und Bobfahren oder beim Skeleton. In sieben Jahren sollen die Bilder Realität sein, wenn sich alpine Weltsportler 2022 zur Winterolympiade im Kreis Yanqing treffen. Noch kann sich kaum jemand das eisige Sportspektakel in dem bislang als Armutsgebiet geltenden Kreis vorstellen, der 90 Kilometer von der City entfernt am äußersten Rand des Pekinger Stadtstaates liegt.

Wintersport auf Chinesisch: "Freudiges Rendezvous auf purem Eis und Schnee."
Erling

Zehn Wochen nach dem Zusprechen der Winterolympiade an Peking Ende Juli durch das IOC stapfen 50 Tiroler Wintersportunternehmer den neu asphaltierten Seitenweg hinauf, der zu einer Aussichtsstelle auf die nordchinesischen Berge führt. Das rührige Außenwirtschaftscenter der österreichischen Wirtschaftskammer (WKO) in Peking hat die Fact-Finding-Tour organisiert. Die Unternehmer und Tirols Landeshauptmann Günther Platter suchen nach Chinas neuem Wintersport.

Vom Aussichtsplatz, der auf 960 Meter Höhe aus dem Boden gestampft wurde, sehen sie auf eine intakte Naturlandschaft mit pittoreskem Tal und hohen Bergen am Horizont. Yanqings Vizekreisleiterin Zhang Suzhi deutet auf einen kaum sichtbaren Gipfel: "Dort, am 2190 Meter hohen Xiaohaituo, wird die Abfahrtspiste mit 830 Metern Gefälle hinkommen." Auf Übersichtsplänen, die auf dem Aussichtsplatz ausgestellt sind, sind Pisten, Bobbahnen, Trainingszentren und das olympische Dorf eingezeichnet.

An drei Standorten – bis zu 160 Kilometer voneinander entfernt – sollen die Olympischen Winterspiele 2022 in China stattfinden.

Die Kritik, die von Chinas Umweltorganisationen kommt, dass solche Skiumbauten das Schutzgebiet nur zerstören würden, lässt Frau Zhang nicht gelten. Sie hat sie schon gegenüber den "Beijing News" zurückgewiesen. Der Kreis habe doch die Grenzen des Naturreservats verschoben und dessen Fläche sogar erweitert. Die Skiabfahrten lägen nun außerhalb. "Wir können nicht alles unverändert lassen", sagt sie dem STANDARD. "Sonst würden wir noch in der Urgesellschaft leben."

Ende 2016 soll die Detailplanung stehen und Projekte öffentlich ausgeschrieben werden. Auf die Frage, was alles noch fehlt, sagt Frau Zhang entwaffnend: "Die Sportler." China hat noch keine Athleten für alpine Disziplinen. So neu ist alles, dass es weder Ausrüstung noch Sessellifte oder Schneemaschinen gibt. Die Österreicher hören das gern, auch wenn die Frage der Finanzierung noch offen ist. Der Staat würde nur für die Infrastruktur zahlen, heißt es.

Die Pläne des Skigebiets.
Erling

Innerhalb Chinas werden Zweifel an der umständlichen Logistik der Spiele lauter, Fragen nach den wirklichen Kosten, ökologischen Folgen und Problemen der Nachnutzung des Imageprojektes werden gestellt. Der für Planung und Nachhaltigkeit zuständige Architekt der Tsinghua-Universität Zhang Li gehört dem chinesischen Organisationskomitee für 2022 an. Er bestätigt den Österreichern, dass es Bedenken gibt, obwohl die Entscheidungen gefallen sind. "Einige deutlich vernehmbare Stimmen" forderten jetzt, den Austragungsort Yanqing ganz zu streichen. Sie sagten, er sei nur ausgewählt worden, weil es dort Berge für die Abfahrtspiste gibt.

"Purer Schnee", künstlich gemacht

Chinas Regierung wollte die Spiele um jeden Preis haben, gewann nur knapp gegen den einzigen Konkurrenten Almaty. Mangels besserer Kandidaten erkor das IOC eine Hauptstadt, die weder auf olympische Wintersporttraditionen noch auf nennenswerte Schneefälle zurückblicken kann.

Ein Bauer führt in seinem Traktor die ersten Erdaushube weg.
Erling

Yanqing hat genug Wasser, aber keinen Schnee. Mit Rendezvous in "purem Schnee" ist Schnee aus Wasser gemeint. Ein touristischer Plan für den 300.000-Einwohner-Kreis brüstet sich sogar: "Unser Skiresort ist das erste in China, das nur von Menschen gemachten Schnee verwendet."

Politisches Kalkül

Das IOC hat Pekings Plänen zugestimmt, die Winterspiele dreizuteilen. Die Hauptstadt kümmert sich um die Eissportarten, Yanqing um den alpinen Sport. In den Bergen des rund 200 Kilometer entfernten Zhangjiakou in der Provinz Hebei würden die Biathlon-, nordischen und Snowboard-Wettbewerbe ausgetragen. Neue Hochgeschwindigkeitsbahnen sollen die drei Standorte innerhalb einer Stunde erreichbar machen.

Noch ist die Landschaft trocken.
Erling

Die Anbindungen an das nationale Highspeed-Netz würden nicht extra für die Spiele gebaut, versicherte Peking. Sie seien schon früher geplant gewesen. Doch sie werden nun vorgezogen und modifiziert. Politisches Kalkül steckte so von Anfang an hinter Chinas Bewerbung für 2022. Mithilfe der Spiele soll nicht nur das krasse Armutsgefälle im Nordwesten der Hauptstadt abgebaut werden.

Noch mehr geht es der chinesischen Führung darum, die Spiele als Hebel zu nutzen, um die Region über den beschleunigten Ausbau der Infra- und Verkehrsstruktur zu erschließen. In einer gigantischen Gebietsreform sollen Peking, Tianjin und die Provinz Hebei nach Absichten von Staats- und Parteichef Xi Jinping zu einem verdichteten Wirtschaftsgroßraum zusammenwachsen.

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Kinder üben Skifahren: Das Logo der Spiele 2022 ist schon auf der Piste zu finden.
AP/guan

Anfangs glaubten selbst chinesische Optimisten nicht, dass sich Chinas Hauptstadt mit ihrem Smog, ihren knappen Wasserressourcen und ohne Schnee für die Winterspiele qualifizieren könnte. Peking half nach, das IOC zu überzeugen. Präsident Xi versprach im Vorfeld, 300 Millionen Chinesen bis 2022 für den Wintersport zu mobilisieren und zu begeistern, so einen neuen gigantischen Wintersportmarkt zu schaffen. Der spukt seither in allen Köpfen.

Voraussetzungen dafür gibt es tatsächlich, auch wenn viele Erwartungen bewusst übertrieben werden. Chinas wachsende Mittelklasse entwickelt starke Bedürfnisse und Nachfrage nach Erholungs- und Freizeitaktivitäten. Wintersport kommt immer mehr in Mode. Das Wachstumspotenzial für österreichische Anbieter vom Sportartikelgroßhandel bis hin zur Skiressortplanung sei sehr hoch, sagt WKO-Wirtschaftsdelegierter Martin Glatz.

Fest in asiatischer Hand: Olympische Spiele 2018 bis 2022.

Einen nachhaltigen Durchbruch werde es erst geben, wenn in China der Mangel an fähigen Skilehrern und standardisierter Ausbildung erkannt und Wintersport als kundenfreundliche Dienstleistung verstanden werde, sagt der Österreicher Wolfgang Preisinger von R&P International Consulting. Er ist seit Jahren in China im Ausbildungsgewerbe tätig. Wenn so wie bisher nichts geschehe, würden Millionen nur einmalig ausprobieren, wie sich Schnee anfühle und wie man darauf ausrutsche.

Diesen Ausrutscher wird sich Peking in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bestimmt nicht leisten wollen. (Johnny Erling aus Yanging, 27.10.2015)