Österreichischer Pass von Karl Farkas: "Wenn ich nicht der blöde, sentimentale Österreicher wäre, der an seiner Heimat hängt ..."

Dokumentationsstelle für Literatur in Niederösterreich

Ein Foto aus der Kindheit.

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Farkas als junger Schauspieler (1912).

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Hochzeitsreise mit Frau Anny (1924).

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Farkas als Frosch in der "Fledermaus" in New York (1942).

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Zurück im österreichischen Fernsehen.

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Feindlicher Ausländer: 1939 kam Farkas für acht Monate in das Internierungslager Meslay-du-Maine.

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Der Abend war in grelles Neon getaucht, vom Times Square drang dumpfer Lärm, und aus einem der Lokale hörte er eine sentimentale Melodie: "My Melancholy Baby". So beschreibt er seinen Abschied an einem Frühlingsabend 1946: "Das ist mein letzter Abend in Manhattan, / Die letzte Nacht unter dem Evening Star ..." Wie immer in den entscheidenden Momenten seines Lebens ist er allein, in Gedanken schon weit fort und dennoch voll Wehmut, er trinkt "ein Abschiedsglas beim Corner-Weinwirt" und grübelt darüber nach, "was sein wird, / Wenn alles wieder sein wird wie vorher ..." Aber wird es das? Und wie stellte er sich überhaupt das Heimkehren vor?

"Nach fünf Jahren New York und Hollywood treibt mich die Sehnsucht nach meiner Familie und meiner Heimat nach Europa zurück", hat er kurz davor noch in einem Brief an Willi Forst geschrieben. Da war er schon dabei, die Zelte in Amerika abzubrechen. In Amerika war er der gewesen, der er vorher auch in Wien war, zumindest auf den ersten Blick: Schauspieler und Schriftsteller mit Spezialfach Revue, Kabarettist der alten Wiener Schule. Mit diesem Programm hat er sich am Broadway über Wasser gehalten und war quer durch die Vereinigten Staaten getourt: mit Operetten und Revuen und mit der klassischen Doppelconférence, obwohl ihm sein genialer Bühnenpartner Fritz Grünbaum schon 1938 abhandengekommen war. Ein letztes Mal ist sein Name für den 28. April 1946 angekündigt: Nach zwei Abenden in Chicago und in der Town Hall in New York sollte er bei der 150. Vorstellung des "Kabaretts der Komiker" noch einmal auf der Bühne stehen, in der Carnegie Hall, gemeinsam mit Hermann Leopoldi, Lilian Harvey, Oskar Karlweis, Armin Berg.

Schon auf dem Weg

Es hätte seine Abschiedsvorstellung werden sollen. An der Revue hat er selbst mitgeschrieben: "Es liegt in der Luft". Ein Name, der Programm ist. Aber an diesem 28. April ist Farkas schon auf dem Weg nach Europa, an diesem Tag legt sein Schiff in Southampton an. Und am nächsten Morgen wird er in Le Havre an Land gehen. Auch wenn er im Gedicht Zweifel und Unsicherheit äußert und von einer Heimkehr ins "Nebelgrau" spricht, ist er voller Pläne, voller Erwartungen.

Während der gesamten Überfahrt sitzt er in einem der Gesellschaftsräume und arbeitet an einem neuen Projekt, mit dem er sein Wiener Publikum überraschen möchte: eine Operette, Robert Stolz hat die Partitur geschrieben, die Dialoge zum letzten Akt bringt Farkas auf dem Atlantik zu Papier.

Zu diesem Zeitpunkt weiß in Wien niemand noch etwas von seiner baldigen Rückkehr, lediglich Willi Forst ist unterrichtet. Der Brief, den ihm Farkas noch von New York aus geschrieben hat, ist eine Antwort auf einen Aufruf in der Zeitschrift Film, der sich an österreichische Künstleremigranten richtet: "Wir brauchen Euch." Aber richtig eingeladen, zurückzukehren, nämlich persönlich, wurde Farkas von niemandem.

Dafür wird er in Paris empfangen. In der Salle Chopin-Pleyel wird am 12. Mai ein Begrüßungsabend, eine "Soirée viennoise", veranstaltet. Er erntet Beifall wie damals, denn viele kennen ihn noch von seinen Auftritten hier im Jahr 1939, als er mit Operettenmelodien und Wienerliedern zu unterhalten wusste, etwa dem Fiakerlied, das nun Chanson du Fiacre hieß, oder dem Rêve de Valse, dem Walzertraum. Es war Schmalz pur und dennoch "makaber", wenn man die Melodie von "Wien, Wien, nur du allein" vorgetragen bekam, während in diesem Wien "gemartert und massakriert wird". So hat es Alfred Polgar, der einmal unter den Zuschauern saß, empfunden.

Paris war nicht die erste Station auf Farkas' langer Flucht. Im März 1938 war er zunächst in die Tschechoslowakei geflohen, geradezu im letzten Augenblick: Zwei Stunden später stand die Gestapo vor seiner Wohnungstür. Aber auch in Brünn oder Prag, wo er dachte, seine Karriere einfach so fortsetzen zu können, konnte er nicht bleiben. Eigentlich war es der Realitätssinn seiner Frau, die ihn drängte: "Um Gottes willen, du musst weiter!", und die ihn dann förmlich ins Flugzeug nach Paris gesetzt hat. Und auch Paris oder Holland, wo er eine Zeitlang mit seiner "Dixie"-Revue gastierte, waren nur Zwischenstationen. Im September 1939 holten ihn die Ereignisse ein: In Frankreich galt der Flüchtling nun als "feindlicher Ausländer", für acht Monate kam er in das Internierungslager Meslay-du-Maine. Im Mai 1940 meldete er sich zum französischen Militär, wo er allerdings als "Spinner" eingestuft wurde. Einmal Kabarettist, immer Kabarettist.

Zu dieser Zeit leben auch seine Frau Anny und der Sohn Robert, genannt Bobby, in Frankreich. Zu dritt wollen sie nach Amerika. Doch Bobby ist nach einer als Kind erlittenen Gehirnhautentzündung geistig behindert und kann aufgrund der restriktiven Einwanderungsgesetze nicht in die USA einreisen. Farkas macht sich allein auf den Weg – die berühmte "Spanienroute" über die Pyrenäen, die auch andere bekannte Künstler wählen.

Eine insgesamt abenteuerliche Flucht. Im Zug nach Lissabon sitzt er gar einem SS-Mann gegenüber. Farkas gibt den Spanier, eine Baskenmütze auf dem Kopf. "Wozu ist man gelernter Schauspieler", wird er später erzählen. Allerdings konnte er kein Wort Spanisch – und der SS-Mann zu seinem Glück offenbar ebenso wenig. In Lissabon, damals Sammelpunkt der Emigranten und um die Jahreswende 1940/41 der wohl am stärksten frequentierte Fluchtort in Europa, wartet er wie unzählige Flüchtlinge auf die rettende Schiffspassage nach New York. Am 11. Jänner 1941 ist es so weit, und die SS Magallanes nimmt Kurs aufs offene Meer.

Wovon soll er leben?

Farkas hat den Status eines "Refugee". Was er nicht hat, ist ein Affidavit, die notwendige Garantieerklärung eines amerikanischen Staatsbürgers, für ihn zu bürgen. Er wird erneut interniert, auf Long Island, und am Anfang droht sogar die Abschiebung nach Europa zurück, mit demselben Schiff. Zum Glück hat er in New York Freunde, und er hat auf der Überfahrt den Schriftsteller Alexander Roda Roda getroffen, der sich ebenfalls für ihn einsetzt. Als eine Summe von 1000 Dollar hinterlegt wird, darf Farkas aus dem Lager – und steht kurz darauf erstmals in Amerika auf der Bühne. Auf dem Programmzettel ist sein Name groß und fett gedruckt, mit dem Zusatz: "First Appearance in New York."

Dabei darf er genau das nicht: auftreten, arbeiten. Bei seiner Entlassung wurde ihm zu verstehen gegeben, dass er in diesem Fall sofort "deportiert" würde.

Wovon aber sollte er leben? Bei seinen Auftritten in Exilantencafés, in denen sich vorwiegend Österreicher trafen, gab es wenig zu verdienen, kaum mehr als ein kümmerliches Taschengeld und eine warme Mahlzeit. Die Anfänge, das Warten auf eine Arbeitserlaubnis, sind auch für ihn ernüchternd, in scheinbar ironischen Gedichten beschreibt er das übliche Emigrantenschicksal. Farkas entdeckt Amerika heißt die schmale Sammlung, die noch 1941 erscheint, Untertitel: "Ein lustiger Gedichtband". Doch lustig war in Wahrheit gar nichts, und es gehörte die nötige Portion Zweckoptimismus dazu, nicht an der Zukunft zu verzweifeln.

1942 bessert sich seine Lage. Gemeinsame Abende im "Kabarett der Komiker", Soloauftritte, er inszeniert, schreibt Bühnentexte und hat sogar Pläne für ein eigenes Revuetheater. Als er dann im April 1942 den Frosch in der Fledermaus spielt, wird er auch über die Emigrantenszene hinaus bekannt.

In der Metropolitan Opera kann man ihn wenig später im Zigeunerbaron erleben, bald darauf im Bettelstudent. Und schließlich tritt er an der Seite von Jan Kiepura und Martha Eggerth in der Lustigen Witwe (The Merry Widow) auf – in der New York Times steht sein Name auf Seite eins. Dann folgen Tourneen, und schließlich ruft Hollywood. – Als der Krieg in Europa zu Ende ist, ist er nicht nur am Broadway ein Star, er verdient mehr, als er je in Wien verdienen könnte, rechnet er sich aus. Also warum nach Europa zurück? Warum nicht in Amerika bleiben und, so stellt er sich vor, einen Bungalow in Los Angeles beziehen?

"Rückkehr ins Morgen"

Der Traum von der amerikanischen Karriere wird schnell ad acta gelegt: Ein gemeinsames Familienleben ist in den USA – wegen Bobby, wegen der Einwanderungsgesetze – nicht möglich. Schon als Farkas im August 1945 erstmals wieder Briefkontakt zu seiner Frau hat, steht fest: Amerika liegt hinter ihm.

Und dann hing das Herz ja doch an Wien, an jenem Wienerischen, Altösterreichischen, dem sich seine ganze Karriere verdankt. Wie man ihn zu Hause empfangen würde, wusste er freilich nicht, und wie das überhaupt geht, zurückkehren ins Land der Täter, dem er gerade noch rechtzeitig entronnen war, viele seiner Freunde und Verwandten jedoch nicht. Noch im August 1945 stellt er in einem Brief an Anny die quälende Frage: "Hast du Neuigkeiten von Käte, Erzi, Karl Strausky, Camilla? Und wie geht's den Hirschfelds? Hier gibt es viele Tote unter den Flüchtlingen."

Am 30. Oktober fragt er erneut: "Hast du niemals etwas von Käte und Erzi gehört?" Und Anny kann nur antworten: "Ich glaube, die kleine Susi Korff ist die Einzige der ganzen Familie, die überlebt hat." Erst später wird er erfahren, dass seine Schwester Elisabeth, genannt Erzi, im Herbst 1941 gemeinsam mit ihrem Sohn ins Ghetto Litzmannstadt deportiert wurde. Auch die Lebensspur der jüngeren Schwester Katharina verliert sich in Polen. Farkas wird nie wieder von ihnen hören.

Ebenso bang lautet die Frage, ob er in Österreich überhaupt noch ein Publikum fände: "Glaubst du, dass ich in Wien arbeiten könnte? Wie ist die Einstellung gegenüber den Juden und den Flüchtlingen?" – "Ich glaube, dass sich alles sehr verändert hat", schreibt ihm Anny zurück, "ich habe kein Vertrauen in das goldene Wiener Herz."

Aber da lassen sich die Dinge ohnehin nicht mehr aufhalten. "Morgen Wien", heißt es in einem der Gedichte, die er noch in New York geschrieben hat und die dort 1946 in einem kleinen Verlag unter dem Titel Rückkehr ins Morgen gedruckt werden. Das klingt hoffnungsvoll-mutig, auch wenn es vielmehr doch eine Rückkehr ins "Nebelgrau" ist und Europa, Österreich, eine diffuse Landschaft, die auch politisch in Trümmern liegt.

Als er Mitte Juni 1946 in Wien ankommt, steht niemand am Westbahnhof, der ihn erwartet. Er selbst muss den Schritt "ins Morgen" setzen: Ein paar Tage später geht er ins Rathaus, zu Viktor Matejka, dem Kulturstadtrat, dem er von Paris aus einen Brief geschrieben hat. Darin hat er seine Rückkehr mit "drei neuen großen Operetten" angekündigt, die er "drüben" mit Kálmán und Stolz geschrieben und erfolgreich inszeniert habe. Die Kostüme, falls notwendig, könne er auch mitbringen, schreibt er, er könne sie in Paris besorgen. Jedenfalls würde er gerne ein musikalisches Theater übernehmen, "auf Grund meiner Fähigkeiten, meiner materiellen und künstlerischen Grundlagen und internationalen Erfahrung". Unterzeichnet: "Ihr ergebener 'Heimkehrer'."

Nicht die einzige Lüge

Matejka ist der einzige österreichische Politiker, der sich damals aktiv bemüht hat, Emigranten zurückzuholen. Bei Farkas' Rückkehr ist zwar auch er nicht zugegen (weil im Rathaus gerade Gemeinderatssitzung war), doch Matejka inszeniert für ihn eine nachträgliche Begrüßungsgala, sie findet ein paar Wochen später am Heumarkt statt, wo eine Abordnung aus dem Rathaus, Reporter, Musiker, Schaulustige auf den Heimkehrer warten – und Farkas spielt mit: Am Schwarzenbergplatz steigt er in ein Taxi, um zwei Straßen weiter so anzukommen, als käme er gerade aus New York. So wird die Ankunft, die das offizielle Wien versäumt hat, einfach nachgestellt.

Es ist nicht die einzige Merkwürdigkeit, die er nach seiner Rückkehr erlebt. Nicht die einzige Lüge. Die Wiener Stadtpolitiker versprechen ihm eine Wohnung, ein eigenes Theater – das er nie bekommen wird -, und das, was sich "Wiedergutmachung" nennt, ist eine unliebsame bürokratische Angelegenheit, die sich bis ins Jahr 1962 hinzieht. Dennoch kein Protest, nie auch nur ein Wort der Klage. Robert Stolz, der ebenfalls 1946 zurückkehrt und sich in Wien alles andere als willkommen fühlt, reagiert ganz anders, die Enttäuschung über das offizielle Österreich, insbesondere den Wiener Bürgermeister, bringt er geradezu empört zum Ausdruck: Die "Arschlöcher", schreibt er in einem Brief an Farkas, sollen sehen, "ich bin nicht angewiesen, nach Wien zu kommen!" Farkas war es auch nicht – und war es doch. Doch lesen oder hören wir bei ihm von einer solchen Verbitterung nichts. Das war nicht seine Art.

1963 lautet das Programm im Simpl Nur nicht aufregen, und das scheint irgendwie sein Lebensmotto seit seiner Rückkehr gewesen zu sein. Später meinte er einmal auch: "Ich bin ja sowieso schon zu alt, um ein zorniger junger Mann zu sein." Vielleicht ging es auch nur so. Über seine Zeit als Refugee, seine Flucht durch halb Europa und die Erfahrungen in der Emigration hat er kaum gesprochen. Und schon gar nicht über das Schicksal von Familienangehörigen und Freunden, die Opfer des Holocaust wurden.

Eigentlich hätte er über all das ein Buch schreiben müssen, es wäre heute ein Bestseller. Aber damals? Es hätte wohl kaum interessiert – mehr noch, etwa zu erfahren, dass Farkas von den Behörden nicht nur als "rassisch Verfolgter", sondern auch als "Widerstandskämpfer" registriert wurde, das hätte ihm sein Publikum ebenso wenig verziehen, wie es die Erzählung vom "Schicksal" hätte hören wollen.

Sein Publikum wollte lachen und unterhalten werden wie vor 1938. Als wäre nie etwas gewesen. Als wäre er "nie fortgewesen", wie ein anderer Heimkehrer, Friedrich Torberg, später über ihn bemerkt hat. (Gerhard Zeillinger, 26.10.2015)