Die Diagnose Depression ist nach wie vor ein gesellschaftliches Stigma, für das sich viele schämen. Dabei ist sie weit verbreitet: beinahe jeder Fünfte leidet einmal in seinem Leben unter einer Depression oder einer langanhaltenden depressiven Verstimmung. Betroffene quälen anhaltende Müdigkeit, Schwermut, Antriebslosigkeit und Selbstzweifel.
Rund zehn Prozent der Bevölkerung bekommen Antidepressiva verschrieben – in Österreich entspricht das 800.000 Menschen. Die Medikamentengruppe ist ein Riesengeschäft, Hersteller verdienen damit Milliarden. Ärzte verschreiben sie vor allem bei Depressionen, doch die Palette der Einsatzgebiete reicht von Angststörungen über Panikattacken bis hin zu posttraumatischen Stressstörungen.
Wenig innovativ
Eine solche Goldgrube ist für viele Hersteller verlockend. Ärzte können mittlerweile unter rund 15 verschiedenen Präparaten wählen, wenn sie ihren Patienten ein Rezept für Antidepressiva ausstellen. Sehr viele dieser Medikamente sind jedoch keine Innovationen – es sind banale "Ich auch!"-Präparate, deren Hersteller am großen Kuchen mitnaschen wollen. Bekanntestes Beispiel dafür ist das Mittel Escitalopram. Es ist so gut wie ident mit seiner Vorgängersubstanz Citalopram, der Aufwand für die Neuentwicklung war daher minimal.
Große Unterschiede in der Wirksamkeit gibt es bei den verschiedenen Antidepressiva nicht. Das zeigt eine Analyse von mehr als 200 Studien, in denen die Mittel miteinander verglichen wurden. Sie wirken annähernd gleich gut und haben auch vergleichbare Nebenwirkungen. Dennoch verschreiben Ärzte bevorzugt ein Präparat – nämlich jenes mit dem besten Marketing: Escitalopram.
Bedenkliches Marketing
Warum gibt es ein Blockbuster-Medikament, wenn alle Antidepressiva gleich wirken? Sobald der zeitlich begrenzte Patentschutz von Citalopram ausgelaufen war, bewarb die Herstellerfirma Lundbeck Escitalopram als stark verbessertes und daher deutlich wirksameres Medikament.
In den USA wurde die Vertreiberfirma Forest zudem vor Gericht beschuldigt, Ärzte dafür finanziell belohnt zu haben, wenn sie die beiden Mittel zur Behandlung von depressiven Kindern verschrieben – obwohl die Medikamente dafür nicht zugelassen waren. 2010 entschloss sich Forest, über 300 Millionen Dollar zu zahlen, damit im Gegenzug die Anschuldigungen fallen gelassen werden.
Was Marketing betrifft, gehen pharmazeutische Firmen sehr berechnend vor. Sie bezahlen angesehene Professoren und andere Experten, damit diese ihr Medikament als bestes Mittel empfehlen. Das macht sich bezahlt. Für jeden Euro, den ein Hersteller in solche PR-Maßnahmen steckt, bekommt es mehr als drei Euro an Einnahmen aus den Medikamentenverkäufen zurück.
Falsche Studienergebnisse
Auch falsche Studienergebnisse tauchen immer wieder auf. So musste die Pharmafirma GlaxoSmithKline in den USA eine Rekordstrafe von drei Milliarden Dollar zahlen. Der Grund war die unerlaubte Vermarktung und das Verschweigen von Nebenwirkungen bei drei Medikamenten. Unter anderem bewarb das Unternehmen sein Antidepressivum Paroxetin zur sicheren und wirksamen Behandlung von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen. Dabei berief es sich auf die Ergebnisse einer selbst-finanzierten Studie.
Doch die Ergebnisse waren falsch. Das belegt eine kürzlich veröffentlichte, unabhängige Neu-Analyse: Das Mittel ist keinesfalls sicher, und es kann das Leiden von Heranwachsenden mit schwerer Depression nicht lindern.
Eine schwere Nebenwirkung wurde verschleiert: In der Studie wurden Selbstmordgedanken als "emotionale Labilität" kategorisiert, das wirkt deutlich harmloser. Aus Sicht des Herstellers erfüllte die Studie ihren Zweck: GlaxoSmithKline hat mit dem Präparat ein Riesengeschäft gemacht. Allein im Jahr nach der ersten, positiven Studie haben Ärzte in den USA das Mittel zwei Millionen Kindern und Jugendlichen verschrieben. (Gerald Gartlehner, 25.10.2015)