Wien – Der Tourist überquert den Zebrastreifen hinter dem Parlament, dreht sich um, schaut etwas irritiert. Wie? Was? Was ist denn das? Blickt nach vorn, vergewissert sich mit einem Schulterblick nach hinten. Aha! Das also sind die berühmten, für manche berüchtigten, "Ampelmädchen" in Wien.

Aber eigentlich zieht es den Mann mit der Kamera dorthin, wo es an diesem Feiertag auch wieder viele Österreicherinnen und Österreicher, neben auffällig vielen Gästen aus dem Ausland, hinzieht: zum Heldenplatz. Denn der 26. Oktober ist Nationalfeiertag, und das heißt: Gemma Bundesheer schauen!

Nächstes Jahr neuer Ort

Findet dies heuer noch auf dem historisch aufgeladenen Platz vor der Hofburg statt, muss für nächstes Jahr eine Alternative gefunden werden, weil dann die Ausweichcontainer des Parlaments, das umgebaut werden soll, dort stehen werden, wo seit dem Wochenende Hubschrauber, Kletterwände und die unvermeidliche Fressmeile aufgebaut sind.

Welche Bedeutung aber hat der Nationalfeiertag für die Menschen, die sich an diesem sonnigen Vormittag im Volksgarten an den Heldenplatz heranpirschen? Die ältere Dame vor dem Rosengarten: "Im Grunde keine, ich bin nur hier, weil es heute so schön ist", sagt sie zum STANDARD. Und die Neutralität? "Ist nicht so dramatisch wichtig für mich."

Umzingelt von Natostaaten

Anders sieht das Herr Josef, der vor dem Theseustempel in der Sonne sitzt: "Der Nationalfeiertag ist für jeden Österreicher wichtig, und für mich ist an der Neutralität wichtig, dass man zu keinem Militärbündnis gehört. Österreich hat ja das Glück, dass es – bis auf die Schweiz – von Natostaaten umgeben ist, darum müssen wir uns nicht engagieren", sagt der 73-Jährige. Dass an so einem Tag Heerscharen zur Leistungsschau des Bundesheeres pilgern, würde er aber nicht unbedingt als große Affinität zum Heer interpretieren: "Ein sicherer Arbeitsplatz ist den Leuten sicher wichtiger als der Patriotismus zum Bundesheer."

Auch Frau Auguste, 78-jährige Bewohnerin von Wien-Josefstadt, die mit ihrem Mann nach dem Besuch des Stephansdoms zum Heldenplatz gekommen ist, befindet die Neutralität "schon für wichtig, weil es uns gutgeht. Ich glaube schon, dass wir ein sicheres Land sind, und das Bundesheer leistet da seinen Beitrag dazu."

Neutralität "läuft gut"

Zur selben Zeit hängt ein kleines Mädchen von einem Seil gesichert in luftiger Höhe in der Kletterwand, die das Jägerbataillon 24 – das Motto der Lienzer Gebirgsjäger lautet "Voran unter dem Edelweiß" – aufgebaut hat, und klettert ruhig bis ganz nach oben. Zurück auf dem sicheren Boden, erzählt die erst achtjährige Pia, warum sie das kann: "Ich klettere seit drei Jahren im Alpenverein Knittelfeld." Für ihre Mama Silvia bedeutet der Nationalfeiertag "Frieden". Und die Neutralität? "Die ist sicher wichtig, weil's gut läuft."

Begehrte Fotoobjekte sind Militärhubschrauber samt Militärs, aber auch Maschinengewehre, und ein etwas pseudomartialisches Bild mit einem Panzerabwehrrohr 66/79 wollen sich vor allem junge Männer nicht entgehen lassen. Szenen, die für so manche Flüchtlingsfamilie, die mit ihren Kindern über das Areal schlendert, durchaus ambivalent sein dürften. Militär zum Anfassen und Spielen, oder, wie Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) etwas später sagen wird: "Das Bundesheer ist kein Angriffsheer, sondern eines der Verteidigung."

"Heer, schütze unsere Grenze!"

Punkt 10.30 Uhr geht dann der offizielle Teil des Tages los: Die Bundeshymne läutet das Programm ein. Im Publikum haben sich ein paar Leute mit einem Transparent postiert, auf dem "Heer, schütze unsere Grenze!" zu lesen ist.

Foto: Fischer

Vorn marschieren Bundespräsident Heinz Fischer, Bundeskanzler Werner Faymann und Verteidigungsminister Gerald Klug – als SPÖ-Politiker alle drei stilecht mit roter Krawatte unterwegs – ein. Der Wiener Militärkommandant Kurt Wagner begrüßt die Gäste, und die Kapelle gibt den Marsch "Wien bleibt Wien". Das muss es an diesem Tag ohne den Hausherrn: Bürgermeister Michael Häupl wird vertreten von Landtagspräsident Harry Kopietz.

Vonseiten des Bundes sind unter anderem noch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sowie Nationalratspräsidentin Doris Bures anwesend, auf klerikaler Seite ist die evangelische Kirche durch Bischof Michael Bünker repräsentiert.

1.360 Rekrutinnen und Rekruten

Bereits zum 20. Mal findet die Leistungsschau des Heeres an diesem Ort statt, erklärt Wagner, und er ist der Erste, der die Leistungen des Bundesheeres – "gerade auch in diesen Tagen" – in die aktuellen Geschehnisse, ausgelöst durch die Flüchtlingsbewegung, einordnet. Den 1.360 anzugelobenden Rekrutinnen und Rekruten – beim Bundesheer wird sorgfältig gegendert – wünscht Wagner eine "fordernde und erlebnisreiche Zeit beim Bundesheer".

Kopietz erinnert an die Tragödie des 20. Jahrhunderts, die "auch auf diesem Platz ihren Ursprung genommen hat", und dankt dann dem Bundesheer für seine "professionelle Hilfe bei Naturkatastrophen, im Ausland und aktuell an den Grenzen und auf vielen Bahnhöfen, um zu helfen, dass die Flüchtlinge menschenwürdig versorgt werden können". Man könne "stolz sein auf die Hilfsbereitschaft der Österreicher".

60 Jahre immerwährende Neutralität

Kopietz erinnert aber auch an die an diesem Montag 60 Jahre alte Neutralität. Damals habe es ein "Bekenntnis aller politischen Lager zum sozialen Frieden gegeben. Seit 1955 muss niemand mehr Angst haben, dass unser Bundesheer auf die eigene Bevölkerung schießt."

Bevor Verteidigungsminister Klug ans Mikrofon tritt, erschallt der Marsch "Oh, du mein Österreich" über den Heldenplatz, hinten in Konkurrenz zum Gedudel aus irgendwelchen Radios.

Klug mag solche Termine, er ist es, der auch ein bisschen Pathos nicht scheut, wenn er zu den Soldatinnen und Soldaten spricht. So auch am Nationalfeiertag. Dieser Tag habe eine "ganz herausragende Bedeutung durch die Wiedererlangung der staatlichen Souveränität und die immerwährende Neutralität", die vor 60 Jahren als Verfassungsgesetz beschlossen worden sei.

Traditionelle Kranzniederlegungen

In der Früh haben die Spitzen der Republik der toten Soldaten und Opfer des Widerstands durch die traditionellen Kranzniederlegungen bei der Krypta und beim Weiheraum am Burgtor gedacht.

Klug betont vor allem auch die Rolle der EU: "Sie hat geeint, was entzweit war, und versöhnt, was verfeindet war." Doch, und das ist in diesen Zeiten ein Wink mit dem Zaunpfahl: "Die EU ist aber kein Selbstläufer. Sie ist getragen von Solidarität, die man auch aktiv nach außen leben muss", so Klug mit Blick auf die Flüchtlingsfrage.

"Auf unser Heer ist Verlass"

Klug berichtet vom Einsatz des österreichischen Bundesheers im Zusammenhang mit der Flüchtlingshilfe. Derzeit biete das Heer rund 900 Flüchtlingen eine sichere Unterkunft, es versorge täglich 4.000 bis 6.000 Menschen mit Verpflegung, es koordiniere federführend die Transporte der Flüchtlinge nach Deutschland, 1.500 Soldaten seien im sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz tätig.

Klugs Schlussfolgerung daraus: "Auf unser Bundesheer ist Verlass." Und, so fügte der Verteidigungsminister hinzu: "Das Bundesheer hat noch Kapazitäten. Wir können zusätzliches Personal schicken, sobald das Innenministerium grünes Licht gibt." Und er betont noch einmal: "Kein europäisches Land kann dieses Problem alleine lösen."

"Die Ungarn hams guat zagt" und "Fuck EU"

Im Publikum raunt da ein Vater seinem Sohn jedoch zu: "Die Ungarn hams ganz guat zagt ..." Und neben den beiden – und den "Heer, schütze unsere Grenze!"-Transparentträgern – steht ein junge Frau mit schwarzer Kappe und hält wortlos eine rot-weiß-rote Flagge in die Höhe, auf der "Fuck EU" steht. Das findet ein graumelierter Herr vor ihr dann so gar nicht lustig und quittiert den Auftritt lautstark mit: "Und auf des sans stolz?! Nazis raus!"

Doch bevor sich der kleine Unruheherd entzündet, sind auch schon ein paar Polizisten da, die die junge Frau – "Ich hab ja gar nix gesagt" – ruhig in ein Zelt nebenan bringen. Ein anderer Herr wiederum findet das seltsam und meint: "Ist das demokratisch, dass die da jetzt weggehen muss?"

Foto: fischer

Vorn ist Minister Klug gerade dabei, den Zuhörerinnen und Zuhörern zu versichern: "Die Österreicherinnen und Österreicher können sich auch in Zukunft auf ihr Bundesheer verlassen." Kurz werden die Verheißungen des reformierten Grundwehrdienstes referiert, durchs Publikum stolpert eine Frau mit mehreren blauen Luftballons und fragt: "Wo komm ich hier zum Glücksrad?", und dann wünscht der Verteidigungsminister mit Inbrunst den Rekrutinnen und Rekruten eine ereignisreiche, spannende und unfallfreie Grundwehrdienstzeit. "Alles Gute und viel Soldatenglück! Es lebe das österreichische Bundesheer! Es lebe die Republik Österreich!" Das mögen die Menschen, dafür gibt es im Publikum satten Applaus.

Flüchtlingsfrage als Nagelprobe für EU

Es folgt Bundeskanzler Werner Faymann, der die "Wiederauferstehung Österreichs als Glanzleistung der Diplomatie" würdigt und darauf hinweist, "dass Frieden nur am Verhandlungstisch möglich ist. Nach der internationalen Wirtschaftskrise hat uns nun die Flüchtlingskrise voll erfasst. Der Umgang mit der Flüchtlingsbewegung ist für die EU zur Nagelprobe geworden", sagt Faymann und betont ebenfalls den Aspekt europäischer Solidarität. Immerhin hätten seit Anfang September mehr als 300.000 Flüchtlinge Österreich passiert, fünf Prozent von ihnen haben hierzulande einen Asylantrag gestellt.

Ein älterer Herr im Publikum kontert: "Wie viele kommen noch? Um das geht's nämlich."

Verteidigungsheer, nicht Angriffsheer

Faymann geht es derweil darum, zu erklären, welches Heer heute so bejubelt wird von den Menschen, die gekommen sind: "Es ist kein Angriffsheer, sondern eines der Verteidigung und des Schutzes, aber auch der Hilfe und Solidarität innerhalb und außerhalb Europas." Sprach's und wünschte "Ihnen und uns allen einen schönen Nationalfeiertag 2015".

Foto: Fischer

Dann ist der Oberbefehlshaber des Heeres, Bundespräsident Heinz Fischer, an der Reihe. Er lobt die Neutralität, die sich in sechs Jahrzehnten "in eindrucksvoller Weise bewährt hat". Das Geburtsjahr der Neutralität, 1955, sei insgesamt ein besonderes historisches Jahr gewesen, habe es doch auch den Staatsvertrag, das Wehrgesetz – "die Geburtsstunde des Bundesheers" – und den Beitritt zur Uno gebracht. Mit dem EU-Beitritt 1995 seien diese "Säulen der Republik" noch ergänzt worden, sagt Fischer.

Kameradschaft und Leistung

Der Bundespräsident verliert auf dem Heldenplatz kein Wort zur Flüchtlingsfrage – das hebt er sich für seine traditionelle Fernsehansprache an die Nation auf –, stattdessen erzählt er von seiner eigenen Erfahrung beim Bundesheer. Neben etlichen Entbehrungen sei die Grundwehrzeit für ihn "alles zusammengenommen eine Periode, wo man gefordert wird, wo man Leistung erbringen muss, wo Kameradschaft wichtig ist und man etwas für unsere Gesellschaft tut". Es folgt der obligate Dank an das Bundesheer und der Schlusssatz: "Ich wünsche dem Bundesheer, der Republik alles Gute."

Kirche und Militär

Nach einer weiteren musikalischen Darbietung sind dann die Kirchenmänner an der Reihe, zu den Militärs in Uniform und den Zivilisten im Publikum und auf der Politikertribüne zu sprechen. Der erste Redner in Bundesheeruniform zitiert das Vaticanum und beschwört "die Liebe Gottes, seine Kraft", die die Soldatinnen und Soldaten "stärken und begleiten" solle.

Ein zweiter religiöser Vertreter sagt dann: "So lasst uns beten, dass die Soldaten ihre Zeit nicht als verlorene Zeit betrachten." Er bittet darum, dass "die heilige Dreifaltigkeit den friedensstiftenden Dienst segnen" möge.

Erstmals ein Imam

Und erstmals spricht auch ein Imam – Abdulmedzid Sijamhodzic – vor den neu anzugelobenden Jungsoldaten "im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen" auf dem Heldenplatz bei der Angelobung. Gut ein Dutzend rechtsextreme "Identitäre" halten währenddessen "Imam geh ham"- und "Nicht mit uns"-Zettel hoch. Andere Besucher des Festakts versuchen teilweise, den Rechtsextremen die Zettel zu entreißen.

Die Angelobung selbst geht dann zackig und lautstark im Takt über die Bühne. Das Treuegelöbnis kommt wie aus einer Kehle, sie geloben alle, "mein Vaterland, die Republik Österreich und sein Volk zu schützen und mit der Waffe zu verteidigen; ich gelobe, den Gesetzen und den gesetzmäßigen Behörden Treue und Gehorsam zu leisten, alle Befehle meiner Vorgesetzten pünktlich und genau zu befolgen und mit allen meinen Kräften der Republik Österreich und dem österreichischen Volk zu dienen." Dafür gibt es vom Publikum auch brav Applaus.

Bundes- und Europahymne gehen dann für viele – auf dem Weg zu den diversen Buden mit Gröstl, Brezeln, Zuckerwatte, Würsteln und Langos – dann schon wieder unter in etwas profanerer Musik, die dort als Konkurrenz aus Lautsprechern kommt. Bis zum nächsten Jahr, auch wenn noch nicht sicher ist, wo der Schlachtruf "Gemma Bundesheer schauen!" dann genau hinführen wird. (Lisa Nimmervoll, 26.10.2015)