Bild nicht mehr verfügbar.

Masern, Mumps, Röteln: ein Impfpass ohne Eintrag. Immer mehr Menschen glauben Verschwörungstheoretikern und lassen sowohl sich als auch ihre Kinder nicht impfen.

Foto: APA / dpa / Lukas Schulze

"Sarah will nicht geimpft werden" – so lautet der Titel eines demnächst erscheinenden Kinderbuchs, das vom deutschen Heilpraktiker und Homöopathen Andreas Bachmair verfasst wurde. Schon 2012 hat er das Buch "Leben ohne Impfung" veröffentlicht und betreibt außerdem die Internetseite "impfschaden.info". Mit der – laut Eigenbeschreibung – "wunderbaren Geschichte zum Vorlesen für alle Kinder ab sechs Jahren" richtet sich Bachmair direkt gegen die seiner Meinung nach existierende "Impfpropaganda". Denn: "Die Entscheidung, nicht zu impfen, ist für viele nicht einfach, weil man oft auf Kritik und Gegenwind stößt."

Allerdings. Und zu Recht! Denn bei der Weigerung, sich beziehungsweise seine Kinder impfen zu lassen, zeigt sich die Gefahr irrationaler und pseudowissenschaftlicher Ideologien besonders deutlich.

Impfungen sind eine der größten Errungenschaften der modernen Medizin. Sie haben vermutlich mehr Menschen das Leben gerettet als alle anderen Therapien und Medikamente. Und trotzdem wird die Kritik daran in den letzten Jahren immer lauter und intensiver. Absurderweise besonders bei Menschen, die es eigentlich besser wissen sollten. Angesichts eines Anstiegs der Masernfälle in Österreich im letzten Jahr erklärten Forscher vom Department für Virologie der Medinzin-Uni Wien: "Erstaunlicherweise sei gerade bei Personen mit hohem Bildungsniveau eine solche Impfskepsis abseits der Kenntnisnahme aktueller Zahlen oder eindeutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse verbreitet. Das werde auch in anderen europäischen Staaten, zum Beispiel in Deutschland, beobachtet."

Die Gerüchte der Pseudomediziner

In gewissem Sinne ist dieses Verhalten sogar verständlich. Gerade wenn es um die eigenen Kinder geht, möchte man für sie nur das Beste. Man will sie beschützen, und wenn Pseudomediziner Gerüchte verbreiten, in denen von den angeblichen Gefahren einer Impfung gesprochen wird, fällt es leicht sich einzureden, man würde den Kindern etwas Gutes tun, indem man sie nicht impfen lässt. Man möchte kein Risiko eingehen – vergisst aber, dass ohne Impfung ganz andere Risiken auf die Kinder warten.

Das Problem der Impfungen ist ihr enormer Erfolg. Die Krankheiten, gegen die sie wirken, sind durch die jahrzehntelange Impfpraxis stark eingedämmt worden und nicht mehr im Bewusstsein der Menschen vorhanden. Bei einer Impfung sieht man nur noch den Vorgang selbst und hört alle möglichen (meist übertriebenen) Geschichten über Gefahren und Nebenwirkungen. Aber von den definitiv vorhandenen schweren Folgen der Krankheiten, gegen die die Impfung wirkt, ist vielen nichts mehr bekannt. Diese Unkenntnis führt dann zu der absurden Ideologie der Impfgegner. Und man kann nicht anders, als sie absurd zu nennen.

Manche leugnen sogar die Existenz von Infektionskrankheiten: Der deutsche Biologe Stefan Lanka gelangte kürzlich zu zweifelhaftem Ruhm, als er gerichtlich zu einer Zahlung von 100.000 Euro verurteilt wurde. Diese Summe hatte Lanka 2011 als Preis für den Nachweis der Existenz von Masernviren ausgelobt. Lanka, der Bücher wie "Der Masern-Betrug" oder "Impfen und Aids: Der Neue Holocaust" geschrieben hat, ist davon überzeugt, dass Viren keine Krankheiten auslösen können und Impfungen nur eine Verschwörung von Ärzten und Pharmafirmen sind.

Der Mediziner David Bardens legte ihm mehrere wissenschaftliche Fachartikel vor, die die Existenz von Masernviren belegen. Die Belohnung wollte Lanka aber trotzdem nicht auszahlen. Bardens klagte sie vor Gericht ein, bekam Recht und seinen Preis von 100.000 Euro. Auch Stefan Lanka bekam einen Preis: Am 21. Oktober wurde ihm "Das Goldene Brett" verliehen, ein Schmähpreis, mit dem der "größte antiwissenschaftliche Unfug des Jahres" ausgezeichnet wird.

Fehlendes Wissen über Funktion der Impfung

Krankheiten wie Masern, Mumps, Windpocken oder Kinderlähmung können zu schweren Komplikationen und unter Umständen sogar zum Tod führen. Wir wissen, wie wir diese Krankheiten bekämpfen und sogar ausrotten können. Wir wissen, was wir tun müssten, damit keiner mehr unter diesen Krankheiten leiden muss. Wir wissen es – und trotzdem tun es immer mehr Menschen nicht. Sie tun es nicht, weil sie auf Pseudomediziner oder Verschwörungstheoretiker hereinfallen, die erzählen, dass böse Ärzte die Leute mit Impfungen "vergiften" und krank machen wollen. Sie tun es nicht, weil sie keine Ahnung haben, wie eine Impfung funktioniert; wie Medizin funktioniert und wie die Natur funktioniert. Sie tun es, weil sie so sehr darauf bedacht sind, nur "sanfte" Medizin zu verwenden, dass sie dafür (unwissend) Krankheit und Tod ihrer Angehörigen und anderer Menschen in Kauf nehmen.

Denn Impfen ist nicht nur eine individuelle Entscheidung! Manche Menschen – zum Beispiel sehr kleine Kinder oder alte Leute – können aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden. Sie sind auf die sogenannte Herdenimmunität angewiesen. Also darauf, dass in ihrem Umfeld genug geimpfte Menschen existieren, damit sich die Krankheit gar nicht erst verbreiten kann. Genau diese Herdenimmunität hält auch das Risiko für die Impfgegner gering. Solange sie existiert, stehen die Chancen gut, dass die ungeimpften Kinder nicht krank werden. Noch zumindest, denn je größer der Anteil der Impfverweigerer wird, desto schwächer ist die Herdenimmunität.

Die Krankheiten, die man eigentlich schon überwunden dachte, tauchen mittlerweile wieder auf. Und angesichts der vielen Krankheiten, gegen die die Medizin noch nichts ausrichten kann, ist es umso tragischer, wenn eigentlich vermeidbare Krankheiten absichtlich nicht bekämpft werden.

"Die hohe Zahl derer, die noch an Masern erkranken, ist unseres Landes nicht würdig. Wir könnten die Masern ganz einfach ausrotten", sagte der bayrische Kinderarzt Christoph Wittermann kürzlich angesichts der auch dort steigenden Krankheitsfälle in einem Interview mit der "Münchner Tageszeitung". Und während sich die Masernfälle in Deutschland und Österreich trotz Anstiegs noch in Grenzen halten, sind in der Demokratischen Republik Kongo seit Jahresbeginn schon 428 Menschen an dieser vermeidbaren Krankheit gestorben.

Mehr Aufklärungsarbeit notwendig

Gerade bei der Frage der Impfungen wäre mehr Aufklärung und wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit nötig. Aufrufe und Kampagnen von Behörden und Gesundheitseinrichtungen sind zwar wichtig, werden aber immer noch viel zu oft als Einmischung des Staates in das Privatleben der Menschen missverstanden. Solange die Menschen nicht verstehen, wie Impfungen tatsächlich funktionieren; wie und gegen was sie wirken und wie sich das Risiko vorhandener Nebenwirkung in Bezug auf das Risiko einer tatsächlichen Erkrankung verhält, wird sich an der grundlegenden Einstellung wahrscheinlich nichts ändern.

Die Frage nach der Bedeutung von wissenschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit für die Gesellschaft bekommt beim Thema Impfungen eine Dringlichkeit, die man nicht ignorieren darf. Je mehr Menschen darüber Bescheid wissen, wie Wissenschaft funktioniert und welche Rolle sie in unserem Alltag spielt, desto weniger werden auf die absurden Behauptungen der Impfgegner hereinfallen. Es ist tragisch, dass der völlig legitime Wunsch, seine Kinder zu beschützen, am Ende genau zum Gegenteil führen kann. Es ist noch viel tragischer, dass so viele Menschen auf den Unsinn der selbstgerechten Impfkritiker hereinfallen.

Sarah, das Mädchen, das im Buch von Andreas Bachmair nicht geimpft werden will, ist verärgert, dass sie deswegen nicht bei einem Pfadfinderausflug mitfahren kann. Wüsste sie, welche Krankheiten sie ohne die Impfung bekommen und übertragen könnte und wäre sie über deren Folgen und mögliche Komplikationen informiert, dann würde sie vielleicht von sich aus auf den Ausflug verzichten. Oder sich impfen lassen. (Florian Freistetter, 27.10.2015)