Wolfgang Holleghas Meisterschaft in Farbe und Form, Proportion und Fläche, Präzision und Zufall. Wie bei "Weinzeiger" (2001) ist der Ausgangspunkt seiner Malerei immer ein realer Gegenstand.


Foto: Universalmuseum Joanneum, N. Lackner

Graz – Monochrome Malerei? Unfug, sagt Wolfgang Hollegha. "Wenn einer ganz weiß malt: Das ist ja wie eine Schimmelherde im Schnee. Die Einheit von Kontrasten: Das ist für mich Malerei. Wesentlichstes Kriterium der Malerei ist doch, dass man die Handschrift des jeweiligen Künstlers erkennt." Er selbst kommt mit wenigen Farben aus, drei Blau, zwei Rot, ein Gelb, ein Braun, daraus mischt er sich seine Farbwelt.

Seine Schüttungen und Pinselhiebe, seine Flecken, Verdichtungen, Raumstrudel, Wischer und raschen Gesten, sein dünner Farbauftrag, kurz: seine malerische Handschrift lässt sich derzeit vorzüglich in der Neuen Galerie Graz studieren. Sie ist, das zeigt die von Günther Holler-Schuster klug komponierte Werk-Durchschau, über die Jahre immer typisch Hollegha – und doch nie gleich. Jedes Bild eine in sich geschlossene Einheit, als das "Innen des Außen und das Außen des Innen", wie es der von Hollegha hoch geschätzte Philosoph Maurice Merleau-Ponty (1908-1961) formulierte.

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Die Natur ist innen, heißt denn auch die Ausstellung, einem Postulat Paul Cézannes folgend, der auch gemeint hatte, dass nur die Farbe allein jener Ort sei, "wo sich unser Gehirn und das Weltall treffen". Holler-Schuster hat die Bildwelt Holleghas nicht in eine starre Chronologie gepresst, sondern als Entdeckungsparcours durch ein abstraktes Universum angelegt. An dessen Ende, in einem schmalen, langen Gang, beweisen auch Großformate von bis zu vier, fünf Metern die Meisterschaft Holleghas in Farbe und Form, Proportion und Fläche, Präzision und Zufall.

Überraschend seine ganz frühen, lange nicht oder überhaupt noch nie ausgestellten, kühlen Maschinenbilder aus den frühen 1950er-Jahren. Josef Mikl, sein Freund und Kollege an der Akademie der bildenden Künste in Wien, habe dann aber gesagt: "Deine Maschinenbilder sind ja so menschlich." Je ein Werk von Morris Louis und von Sam Francis hat Holler-Schuster zwischen die Holleghas gehängt; als Belege ihrer frühen Freundschaft und Beweis, dass Hollegha den Vergleich mit den internationalen Stars nicht scheuen muss – im Gegenteil. Der legendäre Kritikerpapst Clement Greenberg hatte Hollegha nach New York eingeladen, wo er auch mit dem Guggenheim-Preis ausgezeichnet wurde. "Ich hätte erfolgreicher sein können, wäre ich in New York geblieben. Aber dort zu leben hat mich nie interessiert."

Er zog sich in die steirische Einschicht in ein vierhundert Jahre altes Bauernhaus zurück und baute am Waldrand ein spektakuläres, 15 Meter hohes Atelier, eine hölzerne Kathedrale für die Kunst

Der Naturraum ist sein Erlebnisraum, hier findet Hollegha seine Motive, Dinge mit Spuren des Alterns und der Vergänglichkeit: "Wenn man durch den Wald geht, ist alles ein bisschen schief. Dieses Organische, Gewachsene, Verwortakelte inspirieren mich. Für mich ist das, was ich sehe, eine Art von Wahrheit."

Dissident

Bundespräsident Heinz Fischer höchstpersönlich eröffnete die Grazer Schau. Eine große Ehre für einen bedeutenden Maler, der unter anderem zweimal im Guggenheim-Museum ausgestellt und 1964 an der Documenta teilgenommen hatte, den die österreichische Kunst- und Museumsszene allerdings seit etlichen Jahren eher links liegen gelassen hat.

Sicher, spektakuläre Brüche, radikale Kehrtwendungen gibt es im Werke Holleghas nicht, dem Diktat des Zeitgeistes und der wechselnden Trends und Moden entzog er sich konsequent. Er sei immer ein Dissident gewesen, ein Trotzkist sozusagen: "Ich fotografiere nicht, ich habe nie geometrisch gemalt, nie Konzeptkunst gemacht. Ich bin immer von der Natur ausgegangen, von dem, was ich sehe. Wenn ich das nicht hätte, wäre das, was ich mache, ein willkürliches Geschmiere."

Malen ist Bewegung

Überall in seinen Ateliers – in Nischen, Regalen, auf Fensterbrettern – nisten Körbe, Säcke, Leitern, Krüge, Puppen, Äste, Holzstücke. Sie sind sein Motivvorrat, sein unerschöpfliches Ding-Alphabet, das er sich zeichnend und malend erarbeitet. Diese Gegenstände, oft mit dicken Staubschichten überzogen, dürfen nie angerührt, verrückt, nie verändert werden. Umso erstaunlicher, dass Holler-Schuster den langjährigen und von seinen Studenten geradezu kultisch verehrten Akademieprofessor überreden konnte, wenigstens eines der Modelle im Museum herzuzeigen.

Holleghas Farbkompositionen tragen Titel wie Knoten oder Sternförmiges Holzstück, Schachteltier, Blaue Mütze oder Eisentopf, aber auf der Leinwand ist kein Gegenstand mehr zu erkennen, keine winzige Andeutung eines Holzscheits. Nicht die Hülle, sondern den Kern, das Innere, das den Dingen Immanente erschaut sich Hollegha, quasi mit einem inneren Blick, einem dritten Auge. Und setzt die Wahrnehmung in seine Malbewegungen um: "Man muss beim Malen im richtigen Augenblick die richtige Bewegung machen. Die Bewegung verändert die Wahrnehmung." Deshalb liebe er auch das Großformat, das weit ausholende Gesten erfordere.

"Indem der Maler der Welt seinen Körper leiht, verwandelt er die Welt in Malerei", sagte Merleau-Ponty. Er sprach in seiner Phänomenologie der Wahrnehmung auch vom Stil der Bewegungen und vom Denken des Leibes: "Malen ist Bewegung". (Andrea Schurian, 29.10.2015)