Bild nicht mehr verfügbar.

In der Republik Moldau ist die proeuropäische Regierung durch einen Misstrauensantrag gestürzt worden. 65 der 101 Parlamentarier in Chișinău stimmten für den Antrag.

Foto: EPA / DUMITRU DORU

Seit Monaten wird in der Republik Moldau gegen die korrupte Regierung protestiert, nachdem im Armenhaus Europas umgerechnet eine Milliarde Euro aus der Nationalbank entwendet wurde. Doch die Demonstranten sind gespalten. Der Rücktritt der Regierung wird sie nicht vereinen.

Im Zeltstädtchen vor dem Parlament brach am Donnerstag Jubel aus, als das Ergebnis der Abstimmung bekannt wurde. 65 der insgesamt 101 Abgeordneten hatten soeben der Regierung ihr Misstrauen ausgesprochen und damit Premier Waleriu Streleț zum Rücktritt gezwungen.

Vorwürfe: Ablenkungs- und Täuschungsmanöver

In seiner letzten Rede ging der Politiker der Liberaldemokraten noch einmal zum Angriff über. "Alle, die heute für den Rücktritt der Regierung gestimmt haben, wollen die Lage konservieren, alles so erhalten wie es ist. Ihr wollt Euch nicht selbst und den Staat befreien und das System zerbrechen", sagte Streleț. Der Coup sei ebenso wie die Verhaftung von Ex-Premier Wlad Filat – ein Parteikollege von Streleț – durch den Oligarchen Wladimir Plachotnjuk als Ablenkungs- und Täuschungsmanöver geplant worden, klagte er.

Im Lager vor dem Parlament wurde die Nachricht trotzdem als Sieg gefeiert. Die Demonstranten haben ihre Forderungen "Fort mit den Oligarchen", "Beenden wir den Terror gegen das Volk" neben der Landessprache auch auf Russisch formuliert. Nun fühlen sie sich bestätigt.

Überall Zeltlager

Wenige hundert Meter weiter, vor dem Regierungsgebäude auf dem Platz der Nationalversammlung, ist die Stimmung weniger euphorisch. Auch hier steht ein Zeltlager, auch hier wird protestiert, doch ansonsten gibt es kaum Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Camps. "Die Demonstranten vor dem Parlament, das sind Moskaus Leute, die sind des Geldes wegen dort", sagt Georgi. Der 64-jährige Rentner gehört zu den Teilnehmern eines unbefristeten Streiks im Stadtzentrum gegen das gesamte korrupte System im Land.

Organisiert wird die Aktion wie auch mehrere Massendemonstrationen in den vergangenen Wochen, bei denen bis zu 100.000 Menschen auf die Straße gingen, von der prowestlichen Bürgerplattform DA, eine Abkürzung für "Würde und Gerechtigkeit". Dass sich durch den Regierungswechsel etwas ändert, glauben diese Demonstranten nicht.

Kein Mitleid

Mitleid mit dem inhaftierten Filat hat dabei keiner. Der Politiker soll in die "Jahrhundertaffäre" verwickelt gewesen sein, als aus dem Bankensystem rund eine Milliarde Euro – das entspricht etwa einem Achtel des Bruttoinlandsprodukts – über ungedeckte Kredite versickerte. Als Begünstigter gilt der mit der russischen Popsängerin "Jasmin" verheiratete Unternehmer Ilan Schor, einer der reichsten Männer Moldaus. Schor hat bereits gestanden, soll aber auf freiem Fuß sein.

DA fordert seine Verhaftung ebenso wie die Plachotnjuks. Stattdessen wird Plachotnjuk wohl im Hintergrund weiter die Zügel lenken. Seine bisher schon regierende Demokratische Partei wechselt einfach nur die Partner aus: Statt der Liberaldemokratischen und Liberalen Partei sollen nun Kommunisten und Sozialisten mitregieren. Die Sozialisten um Parteichef Igor Dodon gelten als prorussisch, aber nicht weniger korrupt. Auch Dodon war jahrelang in der Regierung, Kommunistenchef Wladimir Woronin sogar bis 2009 Präsident.

Forderung nach Neuwahlen

"Wir brauchen eine neue Partei", sagt daher Inga. Die bisherigen Parteien hätten das Land in den Abgrund geführt, meint die DA-Aktivistin, die eilig einen kleinen Protestmarsch für direkte Präsidentenwahlen in dem Zeltlager organisiert. Die Bürgerplattform fordert den Rücktritt von Präsident Nicolae Timofti und anschließend direkte Präsidentenwahlen.

Das wird schwierig, weiß Wladimir Dolganjuk, einer der Anführer der Protestbewegung. "Die nötigen 200.000 Unterschriften für ein Referendum bekommen wir zusammen, aber das Parlament kann die Initiative einfach ablehnen", damit alles beim Alten bleibe, warnt er.

"Stärke zeigen"

Dolganjuk zeichnet ein erschreckendes Bild der Zustände in der Republik Moldau: "Alle staatlichen Machtorgane sind Plachotnjuk unterstellt. Er kontrolliert die Staatsanwaltschaft und Gerichte, das Zentrum für die Korruptionsbekämpfung, die zentrale Wahlkommission; einfach alles", sagt er.

Aufgeben will Dolganjuk nicht. "Wir haben unsere Stärke schon gezeigt"; wenn nötig, werde die Opposition ihre Anhänger wieder auf die Straße führen – und zwar so lange, bis es grundsätzliche Veränderungen gebe. (André Ballin aus Chișinău, 29.10.2015)