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All-Blacks-Kapitän Richie McCaw (links) und Flyhalf Dan Carter mit dem WM-Pokal. Carter geht mit diesem Triumph von der internationalen Bühne ab.

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Neben den 82.000 in der Arena von Twickenham verfolgten auch geschätzte 500.000 Menschen auf den Straßen Londons das Endspiel.

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Unter der Regie von Scrum-half Will Genia konnten die Wallabies das Match zumindestens in der zweiten Halbzeit phasenweise zum Spektakel veredeln.

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So lachen Champions: Sam Whitelock, Ma'a Nonu und Julian Savea (von links). Seit dem Sieg bei der Heim-WM vor vier Jahren haben die All Blacks von 54 Matches gerade drei verloren – ein eindrucksvoller Beweis ihres Sonderstatus.

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Neuseelands Chefcoach Steve Hansen bleibt auch im Moment des Triumphs ganz sein knochentrockenes Selbst.

World Rugby

Wien/Twickenham – Auf eines konnten sich die Antipoden vermutlich schnell einigen, quer über die Tasmansee hinweg, die Neuseeland und Australien auch trennt. Und zwar, dass die Anpfiffzeit des samstäglichen Finales der Rugby-Weltmeisterschaft nur ein Witz sein konnte. Und zwar ein schlechter. Als der wunderbare Nigel Owens zu Twickenham erstmals in seine Referee-Pfeife flötete, zeigten die Zeiger der Londoner Uhren exakt 16 Uhr Greenwich Mean Time an.

Für die Daheimgebliebenen in Ozeanien bedeutete dies hinsichtlich des Endspiel-Konsums verschärfte Bedingungen. Je nach Zeitzone in der nicht ganz kleinen Region, hatte man sich entweder die sehr späte Nacht oder den ganz frühen Sonntagmorgen um die Ohren zu schlagen. Die Rechtfertigung der englischen Organisatoren für diesen Aberwitz überzeugte nicht: "betriebliche Gründe".

Da eine Verlängerung des Matches nicht ausgeschlossen werden konnte (und die Pokalübergabe an das siegreiche Team schon gar nicht), müsste bei späterem Beginn mit gestrandeten Fans im Areal um das Stadion (Fassungsvermögen 82.000) gerechnet werden. Leider nämlich beende der öffentliche Verkehr in der Weltstadt London seine Tätigkeit eher früh. Das Paradoxon, dass all das für das Spiel um Platz drei offenbar nicht galt, welches am Freitagabend ohne weiteres um 20 Uhr über die Bühne ging, blieb ungelöst im Raume stehen. So weit so schlecht.

Schwarze Magie

Der Titelverteidiger (Weltranglisten-Erster) aber hatte mit Overtime ohnehin nichts am Hut und begann den Showdown mit der Präsenz eines Pulks von Halloween-Dämonen; Halloween-Dämonen mit Schlachtmessern zwischen den Zähnen, um genau zu sein. Ma’a Nonu tat sich sogleich als Wirbelwind aus Stahl hervor. Den Wallabies (Weltranglisten-Zweiter) war glasklar: bei jedem noch so geringen Wackeln würde Neuseeland da sein. Es dauerte 90 Sekunden, bis erstmals Blut rieselte. Stephen Moores Nase war betroffen.

Einen Ball nach dem anderen stiebitzten die All Blacks, es wurde einem Angst und Bang um die Australier. Mehr als drei gekickte Punkte von Dan Carter mussten sie allerdings nicht schlucken, ein kleines Versäumnis des klar dominierenden Favoriten. Offensiv bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorhanden, brachte Bernard Foleys erster Kick den Herausforderer erstmals tief in des Gegners Territorium. Ein Faktum aus dem sich in der Folge ein nicht unschmeichelhafter Ausgleich herauswringen ließ (14.).

David Pocock, Michael Hooper und Scott Fardy bekamen ordentlich zu tun, in höchster Not gelang dem hochelobten Dritte-Reihe-Trio der Wallabies eine ganze Reihe überlebenswichtiger Turnovers. Sekope Kepu traktierte Carter nach Noten, hatte Glück, dass es Owens nach einem recht verspäteten Tackle mit einem Penalty bewenden ließ. Australien hatte große Probleme, die eigenen Lineouts zu kontrollieren. Eine verlorene Gasse killte auch gleich ihren zweiten (!) Aufenthalt in der neuseeländischen Hälfte vorzeitig.

Vor Carters Straftritt zum 9:3 (36.) wegen Abseits, übersahen die Unparteiischen einen doch recht deutlichen Vorball der All Blacks. Australien hatte da bereits einen wichtigen Mann verletzt verloren: Matt Giteau, letzter Überlebender jener australischen Mannschaft, die im Finale von 2003 England unterlegen war, musste vom Feld

Kurz vor der Halbzeit kam dann der längst überfällige Try der All Blacks dann doch, und zwar als Frucht eines flüssigen Moves über die rechte Seite (39.). Der letzte Offload zu Exekutor Nehe Milner-Skudder kam natürlich von Captain Fantastic Richie McCaw. 16:3, die Wallabies mussten sich irgendetwas einfallen lassen.

Was immer in der Kabine aber auch ausbaldowert wurde, man kam erst einmal nicht dazu, es umzusetzen. Zwei Minuten waren nach dem Wiederanpfiff vergangen, erneut hatte Australien zügig einen Ballverlust produziert. Danach Brillantes: zunächst vom eingewechselten Sonny Bill Williams, der das Ei am Leben hielt, fortgesetzt vom unwiderstehlich davonexplodierenden Nonu – Try Nummer zwei für die All Blacks.

Ein halbes Comeback

Als bei einem Stand von 3:21 alles bereits vorbei schien, fischte Australien den Mut der Verzweiflung aus der Hosentasche. 52 Minuten hatten vergehen müssen, ehe die Trylinie des Titelverteidigers erstmals in Gefahr geriet. Als Ben Smith im Eifer des Geschehens seinen Mann ungespitzt in den Twickenhamer Boden rammen wollte, avancierte er zum ersten Menschen, dem je in einem WM-Finale die Gelbe Karte präsentiert wurde. Tatsächlich schrumpfte Pocock daraufhin das Defizit mit dem ersten Versuch zugunsten der Wallabies merklich, die jetzt zudem noch einer zehnminütigen Überzahl entgegenhoffen durften.

Und dann! Will Genia setzte einen genialen Kick, Foley war zur Weiterleitung zur Stelle. Auf Tevita Kuridrani nämlich, den die entblätterte Defensive der verblüfften All Blacks nicht mehr einzuhegen in der Lage war. Australien, fluide geworden, kam auf 17:21 heran, das Finale war wieder zu einem Match geworden (64.).

Neuseeland vs. Australien: Höhepunkte.
World Rugby

Mit Mehrphasenspiel suchte Neuseeland die Partie wieder unter Kontrolle zu bringen. Den Versuchungen der Panik nicht nachzugeben, das zeichnet Klasse-Teams eben aus. In dieser so entscheidenden Phase schüttelte Carter, ganz ähnlich wie im Halbfinale gegen Südafrika, ein Dropgoal wie nichts aus dem Ärmel. Zehn Minuten vor dem Ende sahen er und seine Burschen sich wieder auf Kurs. Erst recht galt das, nachdem der große Fly-half in seinem letzten Länderspiel auch noch einen Penalty aus 50 Metern hinterhergeschickt hatte (75.). Die spätere Auszeichnung als Man of the Match war da nur folgerichtig.

Hopp oder dropp beherrschte hingegen nun das Bewusstsein der tapferen Wallabies. Und es war des Risikos zu viel. Konternde All Blacks beschlossen die Angelegenheit mit einem Schuss Zuckerguss. Beauden Barrett war es, der ihn in Form eines dritten Versuchs auskippte (79.). Der Sieg macht Neuseeland nicht nur erneut zum Weltmeister, sondern gleich auch zum zweifachen Weltrekordler: erster Dreifach-Champion, erste erfolgreiche Titelverteidigung. Prinz Harry konnte ohne jedes Bedauern zur Übergabe des Webb-Ellis-Cup schreiten. (Michael Robausch, 31.10. 2015)