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Ungarns Premier Viktor Orban sieht die Flüchtlingskrise als "Verrat".

Foto: AP / Virginia Mayo

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat eine eigene Theorie über die Gründe für die jüngsten Flüchtlingsbewegungen entwickelt. Nicht Kriege und Elend würden die Menschen in die Flucht treiben, sondern die Linke und Menschenrechtsorganisationen würden die "Völkerwanderung" bewusst organisieren, um Nationalstaaten zu zerstören.

"Gegen diese Verschwörung, gegen diesen Verrat müssen wir uns an die Demokratie und ans Volk wenden", tönte der Rechtspopulist am Freitag vor handverlesenem Publikum im Prachtsaal des Italienischen Kulturinstituts. Sonst werde "der Kontinent nicht mehr das Europa der hier lebenden Bürger sein, sondern die wirren Träume einiger großer Geld männer, transnationaler Aktivisten und von niemandem gewählter Funktionäre verwirklichen".

Kaum verdeckte Botschaften

Von den "großen Geldmännern" ist es in dieser Rhetorik kein weiter Schritt zum "zionistischen Geld juden" der begeisterten Fans, die der Ungar neuerdings in der österreichischen FPÖ hat. Orbán achtet darauf, keine offen antisemitischen Floskeln von sich zu geben – doch in dem, was er sagt, schwingt für sein Publikum stets das "eigentlich Gemeinte" mit: am Ende sind die Juden schuld.

So hatte Orbán am selben Tag in seinem regelmäßigen Rundfunk-Interview den angeblichen Hauptschurken im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise genannt: den US-Milliardär und Philanthropen George Soros. Dieser ist mit der Open-Society-Stiftung in Budapest präsent. Sie fördert Menschenrechts- und Geschichtsaufarbeitungsprojekte und hilft Initiativen, die sich für Flüchtlinge in Not einsetzen.

Ziel ungarischer Antisemiten

"Diese westliche Denkweise und dieses Aktivisten-Netz wird vielleicht am stärksten durch George Soros repräsentiert", wetterte Orbán. Der gebürtige Ungar überlebte als Kind den Holocaust in Budapest und gilt den ungarischen Antisemiten gleichsam als paradigmatischer Jude: steinreich, spekulantenhaft, kosmopolitisch, nations- und gottlos.

Orbán nimmt diese Begriffe so nicht in den Mund, suggeriert sie aber mit seinem Diskurs. Insofern missversteht ihn auch sein neuer FPÖ-Anhang durchaus nicht. Zugleich präsentiert sich der Ungar als "Retter des christlichen Europa". Tatsächlich kommen kaum mehr Flüchtlinge nach Ungarn, seitdem er Zäune an den Grenzen zu Serbien und Kroatien hochziehen ließ. Geringer wurde die Zahl der wandernden Menschen deshalb nicht – sie ziehen jetzt an Ungarn vorbei durch Slowenien. (Gregor Mayer aus Budapest, 1.11.2015)