Skopje/Sarajevo – Normalerweise veröffentlicht die EU-Kommission immer im Oktober die Fortschrittsberichte über die EU-Kandidatenstaaten, in denen gelobt und getadelt wird. Heuer wartete man bisher vergeblich darauf. Denn EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat die Veröffentlichung verschoben, um auf die türkische Regierung Rücksicht zu nehmen, die eine tragende Rolle in der Flüchtlingskrise spielt.

Die Verzögerung hat weitreichende Auswirkungen in Südosteuropa. Mitte Oktober war die mazedonische Regierung noch auf Schiene, doch nun schert sie sich nicht mehr darum. Der Hintergrund: Nach der Veröffentlichung abgehörter Telefonate, die offenbarten, dass die mazedonische Regierungspartei VMRO-DPMNE sowohl Justiz als auch Polizei kontrolliert und den Rechtsstaat untergraben hat, kam es im Mai zu Gefechten in Kumanovo. Mazedonien rutschte in eine schwere Krise.

Sorge vor Ende des Mazedonien-Deals

EU-Kommissar Johannes Hahn konnte Regierung und Opposition immerhin dazu bringen, einen Weg zu Neuwahlen zu ebnen. Ein Teil des Deals war, dass eine Sonderstaatsanwältin ein Team bekommt, um den Abhörskandal und die Feuergefechte in Kumanovo zu untersuchen.

Doch alle Deadlines verstrichen bisher ohne Ergebnis. Die mazedonische Regierung unter Premier Nikola Gruevski spielt offenbar nicht mehr mit, auch weil Mazedonien in der Flüchtlingskrise eine wichtige Rolle spielt.

EU-Mazedonien-Mediator Peter Vanhoutte hat bereits gewarnt, der Deal mit Mazedonien könnte "tot" sein und das Land so isoliert werden wie derzeit Weißrussland. Er wurde daraufhin von regierungsnahen Medien der Korruption bezichtigt und für die Opposition Partei zu ergreifen.

Ende der Woche

Möglich, dass im Fortschrittsbericht – der nun Ende der Woche veröffentlicht werden könnte – der Beginn von Verhandlungen mit Mazedonien unter gewissen Bedingungen, eben die Erfüllung der Vereinbarungen, noch empfohlen wird. Doch man ist sich in der EU auch bewusst, dass die jahrelange Blockade Mazedoniens durch Griechenland Mitschuld an der Entwicklung des Landes hat.

Was die anderen Kandidatenstaaten in Südosteuropa betrifft, so wird es wohl Kritik an dem brutalen Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten in Montenegro und an der fehlenden Medienfreiheit geben. Die Bewertung von Serbien wird wohl angesichts des Abschlusses des Kosovo-Deals am 25. August und vieler wirtschaftspolitischer Reformen positiv ausfallen. (Adelheid Wölfl, 1.11.2015)