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Innenministerin Johanna Mikl-Leitner am vergangenen Dienstag in Spielfeld an der slowenisch-österreichischen Grenze.

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Am selben Tag: Flüchtlinge warten am Grenzübergang.

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Sehr geehrte Frau Johanna Mikl-Leitner, seit einigen Tagen haben wir beide etwas gemeinsam. Wir waren beide am 27. Oktober an der Grenze zwischen der Steiermark und Slowenien. Ich war da, um zu helfen, und Sie waren da, um die aktuelle Situation zu begutachten. Haben Sie dort die vielen Menschen gesehen? Haben Sie die Kälte gespürt? Haben Sie die verrauchte Luft eingeatmet, die irgendwann im Hals kratzt? Ich meine, das alles haben Sie. Jedoch wie, Frau Ministerin, können Sie dann Stunden später von der Errichtung eines Zaunes zur Abriegelung Österreichs sprechen?

Unruhige – und dankbare Flüchtlinge

Es lässt sich nicht leugnen, es gibt weitaus schönere Orte als den Grenzübergang, und ja, es wirkt auch alles sehr bedrohlich: die vielen Polizisten, überall das Militär und so viele Menschen, die völlig erschöpft, verschmutzt, hungrig und auch verängstigt warten. Warten darauf, dass sie endlich einen Fuß auf österreichischen Boden setzen können, einen Fuß in ein neues Leben. Sie werden unruhig, weil ihnen kalt ist, weil sie Angehörige verloren haben oder zurücklassen mussten, weil sie verzweifelt sind. Doch sobald sie an der Essensausgabe warten oder sich um eine warme Jacke anstellen, sind sie nicht mehr unruhig. Dann sind sie dankbar, den Tränen nahe und vor allem erschöpft. Sie können ihre eigenen Kinder kaum mehr tragen, sich selbst nicht mehr auf den Beinen halten.

Menschlichkeit am Grenzzaun?

Haben Sie das alles nicht gesehen, als Sie da waren? Wen Sie bestimmt nicht gesehen haben, ist die kleine Esmera. Wie denn auch, sie ist ja noch so klein. Oder den winzigen Armal, der erst vor drei Tagen in Serbien auf die Welt gekommen ist. Ja, sie haben es beide mit ihren Eltern schon geschafft. Sie haben schnell einen sauberen Strampler und ein warmes Fläschchen bekommen. Aber was ist mit all den Menschen, die noch auf dem Weg sind, die noch nicht in Sicherheit sind? Egal ob Kleinkind, Jugendlicher, junge Frau oder alter Mann, sie alle verdienen ein sicheres Zuhause, einen warmen Schlafplatz und Menschlichkeit. Wo finden sie die Menschlichkeit, wenn sie vor einem Grenzzaun stehen? Einem Grenzzaun, der das zwölftreichste Land der Welt und das zweitreichste Europas vor flüchtenden Menschen abschotten soll.

Es gibt viele Lösungsansätze

Jeder Euro, den Sie, Frau Mikl-Leitner, in einen Grenzzaun investieren, könnte so viel mehr in der Flüchtlingshilfe bewirken. Sie könnten dafür Decken zur Verfügung stellen, die warm halten und große Mangelware sind. Oder Sie könnten mehrere Transitquartiere öffnen, um Menschen für eine Nacht Erholung auf ihrer beschwerlichen Reise zu ermöglichen. Oder die vielen helfenden Organisationen, egal ob Caritas oder das Rote Kreuz, finanziell unterstützen und es diesen NGOs mit ihren unzähligen Ehrenamtlichen erleichtern, die nicht wahrgenommenen Aufgaben des Staates weiterhin auszuführen.

Von Schülerin zu Innenministerin bitte ich Sie, nehmen Sie sich die Zeit und bleiben Sie nächstes Mal etwas länger an der Grenze oder in einem der anderen Transitquartiere, machen Sie sich mit der realen Situation vertraut, und Sie werden zweifelsohne merken: Lösungsansätze gibt es viele, ein Zaun gehört aber mit Sicherheit nicht dazu. (Judith Waltl, 2.11.2015)