Die ÖVP-Politikerin Carmen Jeitler-Cincelli hat über einen Vorzugsstimmenwahlkampf als Stadträtin den Einzug ins Badener Stadtparlament geschafft. Mit dem STANDARD sprach sie über die "strategisch falschen und völlig unklugen" Entscheidungen der ÖVP-Spitze in Bezug auf die Teilhabe von Frauen an Spitzenpositionen, den "absoluten Karriereabstieg" der ehemaligen oberösterreichischen ÖVP-Landesrätin Doris Hummer und "taktische Machtspiele".
STANDARD: In letzter Zeit waren in der ÖVP drei Führungsposten vakant, diese wurde mit Männern besetzt: die Bundesgeschäftsführung sowie Landesgeschäftsführung und Landesparteichef in Wien. Auch die Regierung in Oberösterreich ist rein männlich. Wie beurteilen Sie die Situation?
Jeitler-Cincelli: Ich halte diese Entscheidungen für strategisch falsch und völlig unklug. Auch intern äußern sich zu Oberösterreich viele mit Befremden. Das hat ja eine Signalwirkung: Die gesamte Partei hat sich in einem offenen Partizipationsprozess zu einer Quote im neuen Parteiprogramm geeinigt, und ein halbes Jahr später beginnen wir mit Ausnahmen.
STANDARD: Wie kommen diese Ausnahmen zustande?
Jeitler-Cincelli: Es ist ein Symptom dafür, wie wenige Möglichkeiten hier aufgrund der Bünde- und Länderstruktur vermeintlich existieren. Solange die ÖVP sich in diesem Bereich nicht ändert, werden diese Schwachpunkte andauernd aufscheinen. Man muss hier der Realität ins Auge sehen. Das Problem ist wohl, dass ein Parteiobmann kaum Managemententscheidungen trifft und sich sein Team nicht wie in der Privatwirtschaft selbst aussuchen kann.
Er muss personell nehmen, was ihm die Bünde oder die Länder auferlegen. Und hier zählen dann die bündischen Interessen beziehungsweise eigentlich die persönlichen Interessen Einzelner und nicht mehr die beste Lösung für die Gemeinschaft im Innen und Außen. Bei den Besetzungen der Geschäftsführungen hätte es hier aber wohl eine gute Möglichkeit gegeben, auch einmal einer Frau die Chance zu geben zu zeigen, was sie kann.
STANDARD: Wie kam das zustande? Wurden Frauen in der Vergangenheit zu wenig gehört, zu wenig gefördert?
Jeitler-Cincelli: Zum Teil. Wenn man in die Schülervertretung und Jugendpolitik schaut, ist hier der weibliche Anteil noch sehr hoch. Doch man verliert die Frauen auf dem Weg, sie werfen irgendwann das Handtuch. Die politischen und taktischen Machtspiele und die lange Dauer des rein ehrenamtlichen Engagements, wo oft wenig bewegt werden kann, liegen vielen Frauen einfach nicht. Dann kommt auch noch die Lebensplanung in Bezug auf Familiengründung hinzu, und darauf ist das System nicht ausgerichtet. Politik in Österreich spielt sich zum Großteil am Abend ab. Grundsätzlich hat unsere Gesellschaft sowieso schon ein Problem mit leistungsorientierten Frauen – hier bieten einfach aufgrund der Werteorientierung ÖVP und FPÖ wohl noch mehr Nährboden für Menschen, denen eine echte Partizipation auch nicht wichtig ist. Aber es gab schon auch Parteiobleute, die hier Frauen verstärkt gefördert haben. Es ist absolut notwendig, hier wieder einen Fokus hinzulegen, wenn die ÖVP künftig reüssieren will.
STANDARD: Was soll die Parteiführung unternehmen?
Jeitler-Cincelli: Es zeigt sich, dass es sinnlos ist, weiter über bereits vereinbarte Frauenquoten zu diskutieren, da Oberösterreich nun klar gezeigt hat, dass das Problem hier in der Bündestruktur beziehungsweise Länderstruktur liegt. Wenn ein Platz besetzt wird, geht er halt eher nicht an eine Frau. Wenn sich ein Landeschef sein Team selbst suchen könnte, wäre das wohl anders. Es wirkt ja nach außen fast so, als wären unsere Parteiobmänner zu schwach, die vereinbarten Punkte entschieden einzufordern. Die Führung der jeweiligen Ebene müsste hier schon allein aus Imagegründen entschieden durchgreifen. Wir Frauen wünschen uns starke, verlässliche Persönlichkeiten, die einfach das Recht einfordern und klar kommunizieren: "Wir haben ein Programm gewählt. Wir setzen es um. Punkt."
STANDARD: Befürchten Sie, dass die in den Topfunktionen immer frauenlosere ÖVP Mitstreiterinnen und Wählerinnen abgeschreckt?
Jeitler-Cincelli: Natürlich. Zum Glück kommen aber auch neue Kräfte nach, die es anders machen. Ich habe mein Mandat über Vorzugsstimmen erreicht. In Wien sind zum Beispiel gerade von sieben VP-Abgeordneten vier Frauen – davon zwei über ein phänomenales Vorzugsstimmenergebnis – gewählt worden. Hier ändert sich gerade viel. Frauen wählen laut Studien leider eher nicht Frauen. Mein klarer Appell: Wer von Frauen vertreten sein will, muss sie auch wählen – mit unserem in der ÖVP immer mehr eingesetzten Vorzugsstimmensystem ist das machbar, obwohl es ein sehr harter und mühevoller Weg ist. Ich wünsche mir, dass mehr Frauen das Durchhaltevermögen besitzen und eben nicht auf dem Weg aufgeben oder sich abschrecken lassen. Es ist hart. Allein, was ich in der Politik schon selbst erleben musste – da fällt es oft nicht leicht, motiviert zu bleiben. Doch am Ende dominierte immer der Wunsch nach Veränderung.
STANDARD: Doris Hummer ist nun Chefin des Wirtschaftsbundes in Oberösterreich. Ist das ein adäquater Ersatz für den verlorenen Verantwortungs- und Einflussbereich als Landesrätin?
Jeitler-Cincelli: Definitiv nicht – das ist ein sehr untypischer Rückschritt und auch formal natürlich ein absoluter Karriereabstieg. Die Bedeutung eines Wirtschaftsbund-Direktors hält sich in Grenzen, denn dafür reicht auch eine mäßige politische Begabung aus. Die Menschen in dieser Funktion sind im Normalfall ja auch noch nie von den Menschen gewählt worden. Frau Hummer hat, wie ich so höre, einen tollen Job an der Front gemacht – jetzt sitzt sie quasi auf der Ersatzbank. (Katrin Burgstaller, 2.11.2015)