Der filigran ausgeführte Mosaikboden liegt in einem mindestens 100 Quadratmeter großen säulenumstandenen Hof eines spätantiken Gebäudekomplexes.

Foto: Peter Jülich

Angesichts der politischen Situation sind antike Stätten im Nahen Osten derzeit weiteitgehend unzugänglich. Nur wenige Regionen können als sicher genug gelten, um wissenschaftliche Feldforschung zu ermöglichen – und dazu zählt die Türkei. Deutsche Archäologen haben nun in der Stadt Doliche der einstigen römischen Provinz Syria wertvolle Mosaiken und Gebäude freigelegt.

"Die Stadt ist eine der wenigen Orte, an denen aktuell die syrische Stadtkultur aus hellenistisch-römischer Zeit noch untersucht werden kann", erklärt Engelbert Winter von der Universität Münster. Solche urbanen Zentren seien bisher kaum erforscht. Berühmte Stätten im heutigen Syrien wie Apameia oder Kyrrhos, die dafür in Frage kämen, seien wegen des Kriegs unzugänglich oder bereits zerstört.

"Besonders schlimm steht es heute um den Ort Apameia, eine der bedeutendsten antiken Städte Syriens", so Winter. "Raubgrabungen haben das ganz Stadtgebiet zerstört. Satellitenbilder zeigen dies. Ob dort je wieder Forschung möglich ist, bleibt fraglich. Auch die jüngst wieder aufgenommenen Grabungen in Kyrrhos mussten wegen der aktuellen Lage eingestellt werden."

Die antike Stadt Antiocheia am Orontes wiederum, einstige Hauptstadt der römischen Provinz Syria und heutige türkische Metropole Antakya, sei stark überbaut. "So können bis auf weiteres unsere Grabungen in der Stadt Doliche am Rande der türkischen Metropole Gaziantep neue Informationen zur städtischen Kultur im antiken nordsyrischen Binnenland erbringen", sagt Grabungsleiter Winter. Darüber hinaus sei die Stätte durch umfangreiche Vorarbeiten gut erschlossen und für archäologische Forschungen frei zugänglich.

Filigran ausgeführtes spätantikes Mosaik

Die herausragende Entdeckung der zurückliegenden Grabungen ist ein Mosaikboden von hoher Qualität in einem prächtigen spätantiken Gebäudekomplex mit säulenumstandenem Hof, der ursprünglich weit über 100 Quadratmeter groß war. "Wegen der Größe und streng durchkomponierten Abfolge filigraner geometrischer Muster zählt das Mosaik zu einem der schönsten Beispiele spätantiker Mosaikkunst in der Region", erklärt Archäologe Michael Blömer. Auch wenn die Funktion des Baus noch unklar sei, müsse es sich um eine reiche Stadtvilla handeln. "Diese ersten Funde zeigen bereits, welches Potential die Anlage für die weitere Erforschung der Lebensumwelt städtischer Eliten und für Fragen von Ausstattungsluxus im urbanen Raum besitzt."

Daneben legte das Forscherteam einfache Häuser, Gassen und Wasserleitungen frei, die wichtige Einblicke in den Alltag der Bevölkerung und die Organisation der Stadt versprechen. 2016 sollen die Ausgrabungen auf die öffentlichen Bereiche der antiken Stadt ausgedehnt werden.

Grabungen an einem nahen Felsüberhang führten in eine wesentlich ältere Epoche: Dort liegt ein paläolithischer Siedlungsplatz aus der Zeit zwischen 600.000 und 300.000 vor unserer Zeitrechnung. "Menschen ließen sich hier nieder, weil es Feuerstein gab, aus dem Werkzeuge hergestellt wurden", so Winter. "Die Forschungen zu diesem für die frühe Menschheitsgeschichte zentralen Fundort sollen nun zum eigenen Projekt ausgebaut werden.

3.000 Jahre alte Bronzestatuette eines Hirsches

Zeitgleich zum Neustart der DFG-geförderten Grabung im Stadtgebiet von Doliche setzte eine zweite Gruppe die Ausgrabungen auf dem benachbarten Berg Dülük Baba Tepesi fort, die dort seit 15 Jahren im Heiligtum des Iuppiter Dolichenus, eines der wichtigsten Götter der römischen Kaiserzeit, andauern. Neben gut erhaltenen Abschnitten der Ummauerung des römischen Heiligtums wurden weitere Teile eines christlichen Klosters freigelegt, das dort nach Ende des heidnischen Kultes auf dem Berggipfel gegründet wurde.

In den vergangenen Jahren hatten die Forscher viele wertvolle Funde bergen können, die zeigen, dass der Ort bereits im 9. und 8. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung als Heiligtum genutzt wurde und damit wesentlich älter ist als zunächst angenommen. Dies bestätigte sich in diesem Jahr durch den Fund einer qualitätsvollen Statuette eines bronzenen Hirsches, die ebenfalls in das frühe 1. Jahrtausend datiert. (red, 2.11.2015)