Für das Malen von Graffitis gibt es die unterschiedlichsten Gründe. Manche wollen einfach komische Wörter wie "Fut" oder "Puber" auf möglichst jedem Garagentor sehen, für andere sind Mauern die ideale Leinwand für großflächige Farbspektakel. Die Grenzen zwischen sogenannten Schmierfinken und Künstlern sind oft fließend, der Stolz auf das Geschaffene ist ihnen allerdings allen gemeinsam.

Julián d'Angiolillos Cuerpo de letra zeigt eine andere Form der Bemalung öffentlichen Raums. Während hierzulande Wahlplakate höchstens angekritzelt werden, sind es in Buenos Aires die Wahlslogans selbst, die großflächig auf das Mauerwerk gepinselt werden. Insbesondere kurz vor dem Urnengang, wenn eigentlich nicht mehr geworben werden darf, ziehen mit Farbeimern und Pinseln bewehrte Heerscharen aus, um Brückenpfeiler, Tunnelwände und sonstige Betonflächen mit den Namen der Kandidaten zu versehen. Doch selbst diese Söldner lassen es sich nicht nehmen, ihre Auftragsarbeiten abschließend mit ein paar flotten Strichen zu signieren.

Zwei von ihnen sind der erfahrene Franky und der jüngst von ihm angeworbene Ezequiel. Abgesehen von Ezes Liebe zum Trompetenspiel erfährt man nicht viel von den beiden, sie bleiben austauschbare Vertreter ihres Standes. Wenn sie auf dem Tablet nach der passenden Schriftart suchen und über den richtigen Druck beim Auftragen der Farbe fachsimpeln, merkt man jedoch, dass die Männer auch bei der profansten Arbeit ihren künstlerischen Anspruch nicht ablegen. In der Praxis zählt freilich in erster Linie die Schnelligkeit. Perfekt eingespielte Teams sind es, die aus den farbbespritzten Trucks springen, um direkt neben der Schnellstraße ans Werk zu gehen. Jeder weiß, welchen Strich er zu ziehen, welche Fläche er zu befüllen hat.

Die Kamera von Matías Iaccarino bleibt meist Beobachter, die Interaktion mit den Protagonisten minimal. Meist sind es nächtliche Szenarien, die eingefangen werden, Bilder einer in gelbes Licht getauchten Stadt, die nur aus Autobahnknoten zu bestehen scheint. Die Kinoleinwand kreuzende Autos und Malwerkzeuge laden das Bild dynamisch auf, doch die Welt bleibt trotz der steten Aktivität von einer apokalyptischen Leere geprägt.

Wenn sich Franky und Ezequiel an einem improvisierten Lagerfeuer wärmen, wirken sie wie die letzten Menschen einer verlorenen Zivilisation, deren rätselhafte Symbole sie dennoch wieder und wieder auf die Wände zeichnen. (Dorian Waller, 2.11.2015)