Es war Mitte der 1970er-Jahre, als eine der vielen Variablen austriakischer Traditionen, eine der Spielformen der Wiener Musik, das fast in Vergessenheit geratene Wienerlied und seine legendären Protagonisten, die "Natursänger", wieder mit Auftritten in den Fokus der Öffentlichkeit gelangte.

Verantwortlich für die Exhumierung und Revitalisierung waren Erhard Busek, seine "bunten Vögel" und Jörg Mauthe. Der kritische Intellektuelle, damals Landesparteiobmann der Wiener VP, sorgte gemeinsam mit Kulturattaché Mauthe mit Grätzelfesten, Schriften, Diskussionen zu einem Revival der Heurigenkultur, der damals teilweise das Odeur des Gestrigen anhaftete. Diese Initiativen von seinerzeit aber befreiten Literatur und Musik, das Genre des Wienerlieds vom Makel der Vergangenheit und zeigten fulminant, dass diese verborgenen Schätze Teil der Identität des Österreichischen, speziell des Wienerischen sind. Seit damals fanden neben Dialektliedermachern wie Danzer, Heller oder Ambros auch der klassischen Tradition verbundene Künstler wieder ein Publikum. Und das Genre erfuhr Modernisierung. Das Festival Wean hean hatte beispielsweise damals seinen Ursprung.

Einem der Protagonisten der Szene, der damals schon einige veritable Berg-und-Tal-Fahrten hinter sich hatte, ist nun eine bibliophile Biografie gewidmet. In liebevoller Behutsamkeit setzt ihm Elke Atzler, promovierte Germanistin, passionierte Wienerliedliebhaberin, Artmann-Expertin, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, ein Denkmal. In selten äquilibristischer Art und Weise hält sie Balance zwischen Empathie und Dokumentation. Via Beschäftigung mit Gerhard Bronner, Qualtinger, Heller, schließlich Karl Hodina und Roland Neuwirth stieß Atzler, last, but not least, auf die Legende unter den vom Leben gezeichneten Sängern Ottakringer Zunge, nämlich Kurt Girk.

Die Essenz aus den Erzählungen des 1932 als Kurt Schwecherl in ärmlichen Verhältnissen Geborenen hielt sie wortgewandt fest, akkordiert von formidablen Fotos von Stephan Mussil. Atzlers grandioses Porträt ist zugleich aber auch Zeitgeschichte, Girks Vita ein Zerrspiegel der Republik mit Hochs und Tiefs, die Karriere eine zerfurchte, das Leben, das Zitat sei erlaubt, "patschert", die Person trotz allem immer elegant – und aufrecht. Das Ehrliche, das Wahre suchend hinter der süß-verpickt-verkitschten Nostalgie, von Wein- und Walzerseligkeit, Strauß-Schani, der imperialen Vergangenheit und der Lüge proletarischer Solidarität. Versöhnliches Element ist des Frank Sinatra von Ottakring Obsession, zu singen. Dennoch gilt immer: Misstrauet der Dämonie trügerischer Idylle! (Gregor Auenhammer, 2.11.2015)