Berlin – Als SPD-Chef Sigmar Gabriel den sonntäglichen Krisengipfel der deutschen Koalitionsspitzen wie geplant nach zwei Stunden verließ, gingen die Verhandlungen zwischen den Unionsparteien CDU und CSU erst so richtig los. Immerhin hatte der bayrische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zuvor ein Ultimatum gestellt und bis Sonntag weitere Maßnahmen zur Begrenzung der Asylwerberzahlen gefordert – kein ganz alltäglicher Vorgang zwischen Koalitionspartnern, und erst recht nicht zwischen den Vorsitzenden zweier Schwesterparteien.

Zu Merkel und Seehofer stießen Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) und die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt. Was am Ende dabei herauskam, war ein sechsseitiges Papier, in dem die Unions-Spitzen auf der raschen Einführung von Transitzonen zur Erfassung und Abschiebung von Flüchtlingen beharren. Das Kapitel "Nationale Maßnahmen" sieht außerdem vor, dass sich beide Seiten für "Fortschritte bei der Beschleunigung von Asyl- und Rechtsmittelverfahren sowie bei der Intensivierung von Rückführungen und Abschiebungen" einsetzen wollen.

Keine Kehrtwende

Seehofer, der das Vorgehen der Kanzlerin in der Flüchtlingskrise als zu freizügig kritisiert und im Vorfeld des Treffens ein "glasklares Signal" zur Begrenzung der hohen Flüchtlingszahlen gefordert hatte, hätte wohl konkretere Zugeständnisse erwartet. Zu einer Kehrtwende in der Asylpolitik war Merkel aber auch unter dem zuletzt stärker werdenden Druck aus Bayern nicht bereit. Zurück in München zeigte sich Seehofer am Montag dennoch "zufrieden, dass diese klare Positionierung von CDU und CSU" in der Flüchtlingskrise gelungen sei.

Das Papier der Unionsparteien mag eine Verschnaufpause im Dauerscharmützel zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer bringen – mehr als eine gemeinsame Verhandlungsbasis für das nächste Treffen der Koalitionsspitzen am Donnerstag ist es vorerst aber nicht. Und gerade was das Herzstück der Vereinbarung betrifft, nämlich die Schaffung von Transitzonen direkt an der Grenze, hat die SPD bereits Widerstand signalisiert. Solche Zonen seien nicht praktikabel, da sie nur durch Inhaftierung von Flüchtlingen durchsetzbar seien.

Alle Seiten unter Druck

Bei täglich etwa 10.000 Flüchtlingen müssten "in drei Tagen 30.000 Haftplätze" entstehen, so SPD-Chef Gabriel. Ihm habe niemand erklärt, "welches Fußballstadion man dafür umrüsten will". Parteivize Ralf Stegner warf der Union vor, auf "Scheinlösungen zu beharren, die auf Stimmungen aus sind". Die SPD schlägt stattdessen dezentrale Registrierungs- und Einreisezentren vor.

Bei einer CDU-Veranstaltung in Darmstadt am Abend warnte Merkel vor militärischen Auseinandersetzungen gewarnt, wenn Deutschland die Grenze zu Österreich für Flüchtlinge schließen sollte. Mit Blick auf die Erfahrungen mit dem ungarischen Zaunbau an der Grenze zu Serbien sagte Merkel am Montagabend auf einer : "Es wird zu Verwerfungen kommen

." Es gebe heute auf dem westlichen Balkan zum Teil schon wieder solche Spannungen, dass sie jüngst um eine Konferenz zur Balkanroute gebeten habe. "Denn ich will nicht, dass dort wieder (...) militärische Auseinandersetzungen notwendig werden", sagte sie. Sie wolle nicht schwarzmalen. Aber es gehe schneller als man denke, dass aus Streit Handgreiflichkeiten und daraus dann Entwicklungen würden, die niemand wolle.

Im Machtdreieck der deutschen Regierung stehen alle Seiten unter erheblichem Druck. Mächtige SPD-Ministerpräsidenten drängen auf Lösungen, die organisatorische Entlastung für ihre Länder bringen. In der CDU formiert sich schon seit längerem parteiinterner Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Und der CSU-Ministerpräsident von Bayern, wo die meisten Flüchtlinge ankommen, muss sich am 20. November einem Parteitag stellen. (schub, red, 2.11.2015)