Bild nicht mehr verfügbar.

Anfang Oktober war Tayyip Erdogan in Brüssel, Jean-Claude Juncker gab sich schon damals sehr gastfreundlich.

Foto: REUTERS/Francois Lenoir

Man sei "erfreut" über die hohe Wahlbeteiligung und werte dies als Ausdruck dafür, dass die türkische Bevölkerung die demokratischen Prozesse in ihrem Land unterstütze. So lautete eine mehr als zurückhaltende Reaktion, mit der die EU-Kommission am Montag den Wahlsieg der AKP von Präsident Tayyip Erdogan kommentierte.

Ausgesprochen wurde sie auch nicht von der Spitze der EU-Zentralbehörde, sondern von Außenkommissarin Federica Mogherini und dem für EU-Erweiterung und Nachbarschaftspolitik zuständigen Johannes Hahn in einer Aussendung. Wegen des Feiertags gab es keine offizielle Reaktion von Kommissionschef Jean-Claude Juncker.

Berichte abwarten

Mogherini und Hahn gingen nicht darauf ein, was der Wahlausgang nun konkret für die Entwicklung der Beziehungen zwischen EU und Türkei bedeutet, insbesondere was die vor drei Jahren eingefrorenen Beitrittsverhandlungen, die angestrebte Kooperation in der Flüchtlingskrise und bei der Kontrolle der EU-Außengrenze betrifft. Zuerst sollten die Berichte der Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) abgewartet werden, ob es Wahlfälschungen gegeben habe, hieß es.

In einer ersten Stellungnahme von OSZE, Europarat und Europäischem Parlament wurden gewaltsame Übergriffe im Zuge des Wahlkampfes kritisiert.

Neustart mit Erdogan

Dennoch besteht kein Zweifel, dass die EU die Eiszeit mit Ankara beenden wird. Juncker hatte dies bei einem Auftritt im EU-Parlament in Straßburg erneut bekräftigt und darauf hingewiesen, dass beide Seiten einander bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme brauchen würden – was Kritik an Mängeln im Justizbereich sowie an der Verletzung von Pressefreiheit und Menschenrechten nicht ausschließe. Für die Kommission ist der Umgang mit der Türkei Erdogans eine Gratwanderung.

Die ursprünglich für Mitte Oktober geplante Publikation des "Fortschrittsberichts" zum Stand der EU-Verhandlungen hatte scharfe Kritik an der Türkei geübt. Insbesondere in der Sicherheitslage habe es eine "ernsthafte Verschlechterung" gegeben. Der Friedensprozess mit den Kurden wurde durch die Regierung zum Stillstand gebracht.

Rosige Aussichten für Ankara

Der Bericht wurde aber mit Rücksicht auf laufende Verhandlungen zur Flüchtlingshilfe schubladisiert. Demnächst will die Kommission die jährlichen Berichte für alle Kandidatenländer publizieren. Die türkische Regierung und Erdogan können – trotz Kritik – damit rechnen, bald wieder an EU-Gipfeln teilnehmen zu können, wie alle EU-Aspiranten. (Thomas Mayer aus Brüssel, 3.11.2015)