Erst Ramen-Bootcamp auf Shikoku, dann Ramen-Tempel in Wien: Igor Kuznetsov aus Moskau macht Nudelsuppe.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Tokyo Ramen mit Nori-Algen überzeugt mit Knackigkeit und angenehmem Kontrast der Konsistenzen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Ist zwar unzulässige Verallgemeinerung, stimmt aber: Die Japaner pflegen eine obsessive Beziehung zum Essen. Mit den Freuden der Tafel ist in Japan nie der gustative Genuss für sich gemeint – echt gutes Essen muss Ort und Zeit auf poetische, aber auch extrem kodifizierte Art auf die Teller transzendieren. Das gilt speziell für die ziselierten Kaiseki-Menüs der Hochküche, zieht sich aber quer durch alle Schichten jenes hochkomplexen Universums, das die japanische Küche darstellt.

Auch durch die Nudelsuppe, ein streng geregeltes und aus mindestens fünf Zutatenkategorien komponiertes Konstrukt namens Ramen, das kaum zufällig Inspiration für einen der schönsten Filme aller Zeiten war. "Tampopo", 1985. Wer den nicht kennt, hat Glück: Ein konzentriertes Kompendium aus Freude, Weisheit, Spaß und Hunger nach Leben harrt da der Entdeckung, gepackt in einen Film über die Kunst des Lebens, der Liebe und, vor allem, der Nudelsuppe.

Suppenhype in den USA

Igor Kuznetsov hat den Film natürlich gesehen, aber auch mitgekriegt, welchen Hype die tolle Suppe in den vergangenen 15 Jahren in den Vereinigten Staaten erlebt hat, wo der Topf bissfest-schlutziger Weizennudeln mit Brühe, Würze, in Mirin und Shoyu geschmortem Schweinebauch, mariniertem, kernweichem Ei, frischem oder fermentiertem Gemüse und Würzöl in zahllosen Variationen so angesagt ist, dass er von ernsthaften Style-Ikonen schon längst wieder für tot erklärt wird.

Es wurde also Zeit, dass der Trend sich auch zu uns verirrt – der Dank dafür gilt einem russischen Emigranten. Kuznetsov, bislang als Immobilienmakler tätig, wollte "schon als Kind" Koch werden, es hat aber ein wenig gedauert, bis er sich die Erfüllung des Traumes erlaubte. Zwei Co-Russen, einer aus der Fleisch-, der andere aus der IT-Branche, haben ihm geholfen. Seit vergangener Woche hat Karma Ramen offen.

Dass die Bude mit großem Manga-Wandbild, gelungener Beleuchtung und guten Holztischen auch ziemlich hübsch geworden ist, wird mit ein Grund sein, warum sie vom ersten Tag an gestürmt wird. Dabei ist bei den Suppen noch Luft nach oben. Die Qualität der Nudeln – frisch aus einer eigens aus Japan importierten Maschine – ist beachtlich, auch Suppe und Chashu-Bauch machen Freude. Was noch abgestimmt werden muss, ist die Balance mancher Suppen: Tokyo Ramen mit Nori-Algen (siehe Bild) überzeugt dank eingelegten Bambusses und Sprossen mit Knackigkeit und angenehmem Kontrast der Konsistenzen. Die Signature-Suppe Karma Dragon mit gehacktem Hendl und Yuzu hingegen würde mit mehr Gemüse (Pak Choi? Kohl? Mangold?) deutlich an Balance gewinnen – derzeit wird einem die konzentriert fleischige Würzigkeit schnell einmal zu viel.

Sonniger Gruß

Ähnliches gilt für die buttrig-süße Hokkaido-Version mit Miso und Zuckermais: Schön mollig, ein wenig gemüsiger Crunch wäre aber willkommen. Was Suppen-Frischkoch Kuznetsov schon sehr gut hinbekommt, sind die kernweichen Ajitsuke-Eier, die stets als sonniger Gruß mit auf der Nudelsuppe schwimmen.

Bei den Vorspeisen empfehlen sich hausgemachte Gyoza oder kühl aufgeschnittene Rindszunge mit großartiger, scharfwürziger Würzpaste aus Wasabi-Stängeln. Lachstartare mit Capelinrogen ist zwar eine riesige Portion, wegen allzu schüchterner Würzung aber tritt die Tranigkeit des bösen Zuchtfisches überdeutlich hervor.

Insgesamt ist das Karma Ramen ein willkommener Neuzugang der Wiener Ostasien-Szene – es wäre aber keine schlechte Idee, Koch und Team noch ein wenig Zeit zu gönnen, sich zurechtzufinden und die Balance aus Wollen und Können entsprechend zu kalibrieren.(Severin Corti, RONDO, 6.11.2015)