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Nicole Karafyllis: "Putzen ist für mich auch die Tätigkeit, die sich am meisten der Technisierung widersetzt."

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Karafyllis: "Wenn eine Familie über drei Generationen eine Putzfrau hatte, weiß keiner von denen mehr, wie man putzt."

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Der Frühstücksraum des Hotels Amadeus in der Wiener Innenstadt, nachmittags um vier. Fein säuberlich sind Tassen und Teller bereits für das Frühstück am nächsten Tag zurechtgerückt. Kein Mensch ist da, außer der Philosophin Nicole Karafyllis, die zu einem Event an der Akademie der Wissenschaften aus Braunschweig angereist ist. Sie hat auf einer der knallroten Plüschbänke des Hotels Platz genommen. Kaffee gibt es hier erst morgen früh wieder. Dafür ist es sehr sauber.

Standard: Ab wann spricht man von einem Putzfimmel?

Nicole Karafyllis: Wenn jemand zu viel putzt, dann pathologisiert man ihn. Putzt er zu wenig, wird er gleich zum Messie. Das heißt, man kann es eigentlich nie jedem recht machen.

Standard: Wie findet man denn das rechte Maß?

Karafyllis: Sagen wir es so: Wenn jemand seinen ganzen Alltag rund ums Putzen strukturiert, dann sollte man sich Sorgen machen.

Standard: Sie beschäftigen sich auch als Philosophin mit dem Thema Putzen. Wie darf man sich diese Forschungsarbeit vorstellen?

Karafyllis: Wie viele andere auf dem Gebiet der Philosophie. Wir lesen viel und beobachten die Gesellschaft. Putzen ist eine Kulturtechnik. Ich führte über Jahre Interviews mit Putzkräften, Firmen, aber auch Kollegen. Da gibt's ganz schöne Überraschungen.

Standard: Zum Beispiel?

Karafyllis: Je höher die Bildung eines Menschen ist, desto weniger Ahnung vom Putzen hat er.

Standard: Diese Erkenntnis klingt nun allerdings nicht besonders überraschend.

Karafyllis: Es geht noch weiter. Je weniger jemand vom Putzen weiß, desto mehr wird er diese Tätigkeit als eine niedrige einstufen. Dadurch geht es für mich auch um eine ethische Herausforderung.

Standard: Putzen hat allgemein nicht gerade das beste Image. Es geht um Schmutz, Flecken, Dreck usw.

Karafyllis: Schmutz wird in den meisten Kulturen als etwas beschrieben, das nicht zu uns gehört. Etwas, das die Ordnung, die wir uns wünschen, stört. Dadurch wird es zu etwas Fremdem, etwas, das wir nicht für unsere Identitätsbildung nutzen wollen. Das ist auch ein Grund, warum sehr viel Putzpersonal aus dem Ausland kommt. Dabei macht doch jeder Schmutz.

Standard: Was raten Sie also?

Karafyllis: Es geht darum, zu akzeptieren, dass Schmutz etwas ist, das zum Leben gehört.

Standard: Was sagt das Putzverhalten eines Menschen über seine Psyche aus?

Karafyllis: In meinem Buch "Putzen als Passion" beschreibe ich vier Charaktertypen, die in jedem von uns schlummern. Da ist zum Beispiel der Hygieniker, der den Schmutz als etwas begreift, das lebt und das es zu vernichten gilt. Er ist der Problematischste, denn zu viel Reinlichkeit beeinflusst das Allergierisiko und belastet die Kläranlagen. Den zweiten Typen nenn' ich den Ästheten, der gerne Oberflächen glänzen sieht, ein Bedürfnis, das aus unserer Feudalzeit stammt, in der Dienstboten noch die Leuchter poliert haben. Der dritte Typ ist der Funktionalist. Er will alles schnell und effizient hinkriegen, mag Fliesenböden und verzichtet auf Vorhänge. Er ist sehr praktisch orientiert.

Standard: Den vierten Typen nennen Sie den Psychoanalytiker.

Karafyllis: Genau. Er ist der Romantiker und verbindet Schmutz mit Geschichten, er behält Dinge lange auf und erinnert sich an Gegebenheiten, die mit dem Objekt zusammenhängen, während er sie saubermacht. Er zeigt, dass Putzen auch eine meditative Tätigkeit sein kann und durchaus auch ein Weg ist, ein Stück weit zu sich selbst zu finden.

Standard: Also Putzen statt Yoga. Klingt praktisch.

Karafyllis: Warum denn nicht? Was für den Sport gilt, kann doch auch fürs Putzen gelten.

Standard: Können Sie denn beim Putzen noch abschalten, oder sind Sie ständig beim Philosophieren, während Sie wischen und schrubben?

Karafyllis: Doch, ich schaff' das schon noch. Und wenn ich morgen von Wien zurück nach Hause fliege, werde ich als Allererstes putzen.

Standard: Lassen Sie uns über Hardware sprechen. Welches Gerät ist den Menschen das wichtigste, wenn es ums Reinemachen geht?

Karafyllis: In Industriegesellschaften ist den Menschen der Staubsauger am liebsten, weil man mit ihm sehr viel sauber bekommt. Dann kommt gleich die Waschmaschine. In Sachen Geschirrspülmaschine gibt es nicht wenige, die es vorziehen, das Geschirr von Hand abzuwaschen. Sie sagen, auf diese Art würde das Geschirr sauberer werden, oder sie mögen das Gefühl von nassen Händen. Von Hand waschen tut sich hingegen so gut wie keiner mehr an.

Standard: Wie halten Sie es mit Gummihandschuhen beim Putzen? Pro oder kontra?

Karafyllis: Ich putze ohne Gummihandschuhe, ich mag es ganz gern, wenn ich die Materialien fühlen kann, mit denen ich umgehe.

Standard: Welcher ist denn der effektivste Weg zu putzen?

Karafyllis: Bislang putzt nichts so gut wie die menschliche Hand kombiniert mit dem menschlichen Auge. Deswegen ist Putzen für mich auch die Tätigkeit, die sich am meisten der Technisierung widersetzt.

Standard: Andererseits boomt der Markt für allerlei Feuchttücher, Wegwerfstaubwedel etc.

Karafyllis: Auch daran sieht man, wie sehr das Bedürfnis nach Sauberkeit zunimmt. Viele dieser Produkte sind allerdings überflüssig. Putzt man mit der Hand, kommt man mit wenigen Putzlappen aus, und ökologisch sind diese Produkte sowieso eine heikle Angelegenheit. Falsche Dosierungen sind ein großer Fehler beim Putzen. Die meisten Menschen glauben, "viel hilft viel".

Standard: Was putzen die Menschen am wenigsten gern? Ich nehme mal an, es ist das WC.

Karafyllis: Ich denke, es ist die Dusche und nicht die Toilette, denn das Klo ist als Objekt relativ einfach sauberzumachen. Bei der Dusche haben wir Glas, den Siphon, die Haare, na, Sie wissen schon ...

Standard: Was putzen Menschen am liebsten?

Karafyllis: Am liebsten geputzt werden Objekte, die man gern hat. Steht man auf Schuhe, dann putzt man auch gerne Schuhe. Wenn jemand gern kocht, dann macht er auch lieber die Küche sauber.

Standard: Putzen ist wie das Kochen Teil der Hausarbeit. Das eine wird als Mühsal empfunden, das andere ist immer schicker geworden und gehört für viele zum Lifestyle. Könnte man das Putzen denn attraktiver gestalten?

Karafyllis: Das wäre schön, wenn das gelingen könnte. Putzen ist eine komplexe Angelegenheit, es bedarf der Aufklärung und des Wissens, allein schon, was die chemischen Inhaltsstoffe von Putzmitteln betrifft. Die meisten Menschen schauen ja nicht einmal auf die Etiketten der Reinigungsmittel ...

Standard: ... weil sie wahrscheinlich gar nicht wissen, was die Inhaltsstoffe bedeuten.

Karafyllis: Das fängt schon im Kleinen an. Eine Umfrage unter meinen Studenten hat ergeben, dass die meisten nicht einmal wissen, dass Putzwasser warm sein sollte, damit sich die Seife besser darin löst.

Standard: Putzen sollte also gelehrt werden?

Karafyllis: Klar, wenn eine Familie über drei Generationen eine Putzfrau hatte, weiß keiner von denen mehr, wie man putzt. Warum sollte Putzen nicht Teil eines Fachs wie Hauswirtschaft sein?

Standard: Es gibt Menschen, die räumen auf, bevor die Putzfrau kommt.

Karafyllis: Ja, das ist eigenartig. Viele Menschen sagen, sie sparen sich durch eine Putzfrau Zeit, dabei stimmt das gar nicht, weil sie vorher für die Putzfrau aufräumen, für die Putzfrau Putzmittel einkaufen gehen oder ihr beim Putzen zuschauen.

Standard: Was halten Sie vom Frühjahrsputz?

Karafyllis: Es ist ein Riesenschmarren, alles ewig vor sich herzuschieben und dann an einem Tag alles zu putzen. Das schafft man doch gar nicht. Man sollte in Etappen putzen. Das merkt man spätestens in dem Moment, wenn man alle Vorhänge gewaschen hat, und nicht weiß, wo man sie zum Trocknen aufhängen soll.

Standard: Eine wohl unvermeidliche Frage zum Schluss: Putzen Männer schlampiger als Frauen?

Karafyllis: Nein. Meinen Forschungen zufolge putzen Männer im Privaten zwar seltener, aber wenn, dann sehr viel gründlicher als Frauen.

Standard: Aha, warum?

Karafyllis: Weil sie das Putzen kulturell als etwas Neues entdecken. Für das Putzen zuständig fühlt sich erst eine jüngere Männergeneration. Auch die Singlehaushalte haben stark zugenommen. Kurz gesagt: Männer putzen deshalb besser, weil sie diese Tätigkeit mehr als Herausforderung begreifen. Männer lesen auch eher die Etiketten und machen sich einen Plan fürs Putzen, stehen auf Kärcher und andere Geräte. Dafür fahren Frauen umgekehrt besser Auto.

Standard: Wie bitte?

Karafyllis: Männer sagen: "Ich kann das, weil ich ein Mann bin." Frauen sagen: "Ich muss mir das beibringen.'" (Michael Hausenblas, RONDO, 8.11.2015)