Zum Glück verkauft Jean-Claude Biver keine Religion", wird der Zürcher Edeljuwelier René Beyer im Schweizer Wirtschaftsmagazin "Bilanz" zitiert. Natürlich meint er das nur halb ernst.
Und doch ist es nachvollziehbar: Jean-Claude Biver traut man es durchaus zu, die Massen von einer Sache überzeugen zu können. Denn der 66-Jährige ist eine Rampensau. Auf der Bühne ist er voll in seinem Element. Alle hängen an seinen Lippen. Sein schallendes Gelächter ist ansteckend, seine philosophischen Ergüsse erheitern das Publikum, machen es euphorisch. Man möchte ihm stundenlang zuhören (und würde ihm alles abkaufen).
Womit wir bei seiner Religion wären: Hublot. "Hublot ist mehr als nur eine Uhrenmarke. Hublot ist eine Religion." So tönte er unlängst von der Festbühne anlässlich der Neueröffnung des zweiten Manufakturgebäudes der Uhrenmarke in Nyon.
Das ist Biver, wie er leibt und lebt.
Das Erweckungserlebnis
Dass er für Uhren lebt, das hat der gebürtige Luxemburger im Alter von 25 Jahren erkannt. Damals war er ein Hippie. Die Eltern hatten ihn hinausgeworfen, er jobbte bei der Post und war frustriert. Die Sinnsuche endete, als er die Uhr seines Freundes Jacques Piguet näher betrachtete: Darin sah er die Reinkarnation der Dampfmaschine, die ihn schon als Kind faszinierte hatte. Die Leidenschaft hatte ihn gefunden: "Ich bin ein Besessener", sagt er heute. Seine Freunde hielten ihn für verrückt.
Jacques' Vater machte Biver mit Georges Golay bekannt, dem Verwaltungsratspräsidenten und CEO von Audemars Piguet. Keine schlechte Adresse, um eine Karriere zu starten. Dort eignete er sich sein Branchenwissen an. 1979 wechselte er zu Omega. Aber auch dort hielt es ihn nicht. Denn es ergab sich die Gelegenheit, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen.
1982 kaufte er gemeinsam mit Jacques Piguet für knapp 20.000 Schweizer Franken die Namensrechte an der altehrwürdigen Uhrenmarke Blancpain. "Seit 1735 gibt es bei Blancpain keine Quarzuhren. Es wird auch nie welche geben." So lautete der provokante Werbespruch, der schon das Biver'sche Talent für Marketing durchscheinen ließ.
Diese Ansage kam mitten in der schwersten Krise der eidgenössischen Uhrenindustrie, in der viele Marken um das Überleben kämpften. Biver sah aber die Renaissance des mechanischen Zeitmessers voraus. 1992 verkaufte er Blancpain für geschätzte 60 Millionen Franken an die Swatch Group. Er landete wieder bei Omega. Rund zehn Jahre waren es dieses Mal. In dieser Zeit holt Omega auf, wird begehrenswert.
Selbst eine Legionelleninfektion, die Biver 1999 fast das Leben gekostet hätte, kann ihn nur kurz stoppen. 2004 kauft er sich, damals 54, bei der verschnarchten Uhrenmarke Hublot ein. Damit beginnt das bislang wichtigste Kapitel seines Lebens. "Man hat mir gesagt: Du gehst von der Swatch Group weg zu Hublot, von der Championsleague in die vierte Liga. Bist du wahnsinnig?" Aber in kürzester Zeit frisiert er die Uhrenmarke zu einer der gefragtesten Lifestylemarken auf.
Ästhetische Spannung
"Fusion" heißt sein Konzept, "Big Bang" das Produkt. Es ist ein Mix aus Materialien, die es in der Uhrmacherei vorher nicht gab. Gold, Kautschuk, Keramik, Kevlar, Jeans, Leinen, Karbon ... Alles wird wild gemischt. "Das war die Idee: Tradition und Innovation, Vergangenheit und Zukunft miteinander zu verheiraten. Das erzeugt ästhetische Spannung", schildert Biver. Von 15.000 Uhren schnellt die Produktion auf über 40.000, 2014 beträgt der Umsatz eine knappe halbe Milliarde Euro.
"There's nothing you can do, that can't be done", heißt es in Bivers Lieblingslied: Er beschreitet neue Wege im Sponsoring. 2008 geht Hublot als erste Luxusuhrenmarke eine Fußballpartnerschaft ein, 2010 ist sie offizieller Zeitnehmer der FIFA. Biver holt sich die Megastars: Pelé, Jay-Z, Bar Refaeli. Er kooperiert mit Ferrari, Bayern München. Er bringt eine Uhr auf den Markt, die "All Black", auf der man die Uhrzeit kaum ablesen kann. Egal. Der Zeitmesser wird trotzdem zum Bestseller. "Wer trägt schon eine Uhr, um damit die Zeit zu messen?", fragt Biver. Für ihn ist die Uhr ein Statement, ein Statussymbol, etwas, das Emotionen widerspiegelt.
Das Paradies
Die Presse bezeichnet ihn als Magier, als Genie, als zweiten Nicolas G. Hayek, als Helden. Er könnte sich zurücklehnen und den Dingen ihren Lauf lassen – spätestens als Hublot 2008 von LVMH gekauft wird. Aber es kommt anders. Seit 2014 ist er der Uhrenchef des weltgrößten Luxuskonzerns, ein Posten, der extra für ihn geschaffen wurde. Nun trägt er auch die Verantwortung für TAG Heuer und Zenith.
Man traut es ihm zu, diese Häuser auf Schiene zu halten (Zenith) bzw. wieder auf Vordermann zu bringen (TAG Heuer). Er sieht Defizite: "Bei Hublot haben wir uns den Start-up-Charakter bewahrt, wir halten uns nicht in der Komfortzone auf. Denn dann braucht man bald einen Assistenten, weil man sich seinen Kaffee nicht mehr selbst holen kann", ätzt er. Zenith soll als Manufaktur wachsen.
Biver nimmt Apple ernst
Beim "Sorgenkind" TAG Heuer passiert neuerdings Aufregendes: Gemeinsam mit Google und Intel hat die Marke die Smartwatch "Connected" herausgebracht. Details dazu gibt es hier. Feststeht, dass Biver die Konkurrenz von Apple ernst nimmt und TAG Heuer im Rennen um die Handgelenke vor allem junger Menschen positionieren will. Er spürt den Trend.
Biver steht um vier Uhr früh auf, arbeitet, frühstückt mit der Familie, arbeitet. Die Familie bedeutet dem vierfachen Vater viel, mehr als früher, wie er sagt. Entspannung findet er auf seinem Bauernhof, wo er auch Käse produziert. Warum? Auch dafür hat er eine Erklärung: Bauern waren die ersten Uhrmacher der Schweiz. Jetzt ist er selbst einer. (Markus Böhm, RONDO Exklusiv, 19.11.2015)