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Konzernchef Carlos Ghosn.

Foto: Reuters/Peter

Nicht nur Volkswagen hat Probleme. Der Autohersteller Renault gerät zunehmend in den Clinch von zwei mächtigen Playern – Nissan und dem französischen Staat. Konzernchef Carlos Ghosn wäre bereit, den Japanern endlich die ihrem Kapitalanteil entsprechenden Stimmrechte zu gewähren. Das würde aber den Einfluss des französischen Staates schmälern, der derzeit 19,7 Prozent des Renault-Kapitals hält und seine Stimmrechte kürzlich auf dem Gesetzesweg erhöht hat. Wirtschaftsminister Emmanuel Macron hat deshalb Ghosn auf rüde Weise zurechtgewiesen und ihm bedeutet, er sei "Konzernchef, nicht Aktionär" und solle gefälligst "nicht den Beruf anderer ausüben". Der Angesprochene kontert, indem er für Freitag den Verwaltungsrat einberuft – zweifellos, um den Staatsaktionär in die Minderheit zu versetzen.

Die Lunte brennt seit längerem zwischen Ghosn und Macron. Im Sommer hatte der Minister durchgesetzt, dass langfristige Aktionäre – darunter der französische Staat – in gewissen Großkonzernen doppelt so viele Stimmrechte wie bisher erhalten. Der Renault-Vorsteher, der in Personalunion auch Nissan-Chef ist, leistete erbitterten Widerstand, wurde aber auf der Aktionärsversammlung überstimmt.

Suche nach Revanche

In seinem nicht geringen Ego verletzt, sucht Ghosn die Revanche. Ein Mittel ist für ihn, den Partner Nissan auf Kosten des französischen Staats aufzuwerten. Während Renault 43,4 Prozent an Nissan hält, halten die Japaner umgekehrt nur 15 Prozent der Anteile an Renault – und haben null Stimmrecht. Dieses Ungleichgewicht rührt daher, dass die Franzosen den notleidenden Japanern 1999 mit der Allianz aus der Patsche geholfen hatten. Heute ist Nissan aber global aufgestellt und solider als Renault, das zu stark von Europa und Frankreich abhängig bleibt. Bei Umsatz wie Börsenkapitalisierung wiegen die Japaner heute mehr als doppelt so schwer wie die Franzosen. Und sie tragen Milliarden zur Renault-Rechnung bei: In diesem Jahr stammen drei Viertel des Renault-Reingewinns aus den Nissan-Dividenden. Im letzten Halbjahr waren es 524 Millionen Euro.

Verständlich, dass Nissan gegenüber seinem ehemaligen "Retter" Renault selbstbewusster auftritt und mehr Mitspracherecht verlangt. Ghosn hat ein offenes Ohr dafür. Die französische Regierung erinnert sich hingegen daran, welchen sozialen Kahlschlag – mit 21.000 Entlassungen – Ghosn nach 1999 bei Nissan vorgenommen hatte, und befürchtet, dass die Japaner in Frankreich heute ähnlich wüten könnten, wenn sie mehr Mitsprache hätten.

Offene Kritik

Macron versprach zwar am Montag, er werde den kurzfristig erhöhten Aktienanteil des Staates bei Renault von 19,7 Prozent wieder auf 15 Prozent senken. Bisher hat er allerdings keine Anstalten dazu gemacht. Nissan kritisiert das offen: "Der französische Staat hat heute bedeutend mehr Gewicht", meinte Wettbewerbsdirektor Hiroto Saikawa. "Das ist für Renault ein großes Problem – und für uns bei Nissan ein Anlass zur Beunruhigung."

Solche drohenden Worte sind die Franzosen aus Yokohama nicht gewohnt. Pariser Ökonomen wie François Lenglet fragen sich bereits, ob die Allianz Renault–Nissan gefährdet ist. Wenn, dann am ehesten durch die Einmischung des französischen Staates. Er hat es bis heute nicht verwunden, dass er bei der einstmals staatlichen "Régie Renault" nicht mehr das alleinige Sagen hat, und will den Japanern nicht die ihnen gebührende Mitsprache einräumen. Auch bei dem früheren Privatkonzern PSA Peugeot Citroën akzeptierte er die chinesische Dongfeng als Investor nur, indem er 2014 selber den gleich hohen Kapitalanteil von 14 Prozent zeichnete.

Etatistisches Selbstverständnis

Daneben hält die französische Regierung auch Anteile an Air France, Airbus, Electricité de France (EDF), La Poste, Engie (ehemals GDF-Suez), Safran und Thales. Der massive Einfluss der staatlichen Verwaltungsräte auf den Kurs dieser Unternehmen wird in Einzelfällen oft kritisiert; generell entspricht er aber dem etatistischen Selbstverständnis der französischen Wirtschaft.

Nicht direkt betroffen ist die technische Kooperation von Renault-Nissan mit Daimler. Immerhin halten die Deutschen an beiden Unternehmen je drei Prozent der Anteile (umgekehrt je 1,5 Prozent). In Stuttgart verfolgt man den Machtkampf zwischen Paris und Yokohama deshalb sehr genau. Zumal die seit fünf Jahren dauernde Dreierkooperation für alle Beteiligten sehr ergiebig war. (Stefan Brändle, 4.11.2015)