Die Wohnbebauung im Südosten der Seestadt ist praktisch fertig, in den meisten Häusern sind schon die ersten Bewohner eingezogen. Die neue Stadt ist dicht geworden, darin sind sich die meisten Beobachter einig. Für manche Geschmäcker vielleicht auch zu dicht.

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Auf Johannes Tovatts Masterplan (siehe pdf) geht es nun gegen den Uhrzeigersinn weiter, für den nördlichen Teil wird gerade an den Detailplanungen gearbeitet.

Wenn die Seestadt fertig ist, wird auch das noch freie Feld bis zur U2-Station Aspern Nord bebaut sein.

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Architekt Johannes Tovatt mit seinem Seestadt-Masterplan.

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Unaufgeregt tuckert die U2-Garnitur in ihre allerletzte Kurve. Als die Endstation Seestadt immer näher kommt, hat Johannes Tovatt aber Herzklopfen. Und das ist auch verständlich, schließlich fährt ihn die U-Bahn gerade direkt in "seine" Stadt hinein.

Tovatt, Architekt aus Stockholm, dem man seine 50 Jahre nicht unbedingt ansieht, ist der Schöpfer des Masterplans für die Seestadt Aspern, das momentan größte Stadterweiterungsgebiet Europas. Im Jahr 2007 hat er sich mit seiner Idee eines zentralen Sees und einer Ringstraße rundherum im Wettbewerb durchgesetzt. Jetzt ist der erste Bauabschnitt im Südwesten fast fertig, rund 6000 Menschen leben schon in der neuen Stadt, mit der sich Tovatt seit zehn Jahren beschäftigt. Aktuell arbeitet er gemeinsam mit der Wien 3420 Aspern Development AG an der detaillierten Ausarbeitung des Masterplans für den nördlichen Teil.

Er nennt seinen Masterplan "eine Art Partitur", in der festgelegt wird, wie die Straßen und Plätze "funktionieren", und die die Beziehungen zwischen privaten, halböffentlichen und öffentlichen Räumen sowie "Dichte und Sichtlinien" definiert. "Der Masterplan ist ein Sprungbrett für die nächste Phase, in der dann die Gebäude und deren Funktionen reinkommen."

Anfängliche Kritik

Beim Spaziergang durch die Seestadt erzählt der Schwede, der mittlerweile sehr gut Deutsch spricht, von der anfänglichen Kritik an seinem Masterplan vonseiten seiner österreichischen Kollegenschaft, die ihm doch einigermaßen zugesetzt hat. "Mir wurde vorgeworfen, dass es aussieht wie ein Stadtplan des 18. Jahrhunderts." Vonseiten der Stadt habe er aber "sehr viel Offenheit für Ideen und Strategien" erlebt, sagt er. "Natürlich hatten wir auch ein paar Konflikte."

Welche das gewesen sein könnten, wird beim Spaziergang mit dem Masterplaner durch den bereits fertigen Teil der Seestadt klar. Beim "Stadthaus" auf Baufeld D 10 ist beispielsweise auch die Architektur von ihm. Ein komplexer Bau, der von zwei gemeinnützigen Bauträgern umgesetzt wurde, mit Supermarkt, Gastronomie, Stadtteilmanagement und Polizeistation im Erdgeschoß, einer Tiefgarage samt begrüntem Innenhof darüber.

"Da gab es vonseiten der Stadt die Vorstellung, dass entlang der Ringstraße zu viel Lärm sein würde, weshalb nur sekundäre Zimmer – also keine Schlafzimmer – an der Ringstraße entstehen sollten. Wir argumentierten, dass sich die Ringstraße dann in verschlossene Fassaden mit lauter Badezimmern verwandeln würde. Das hat man dann natürlich eingesehen, denn das wäre ja verrückt gewesen. Aber es hat unsere erste Planung verkompliziert." Für diese "unangenehme Herausforderung" sei man möglicherweise – das Büro in Stockholm – auch "zu weit weg gewesen", geografisch.

Anderswo hätten Bauträger regelrecht dazu gezwungen werden müssen, im Erdgeschoß Geschäftsflächen zu schaffen, erzählt Tovatt. Und dann gibt es da auch noch so manche bauliche Umsetzung, die ihm selbst ein Rätsel ist: So ist etwa eine Fassade in der Maria-Tusch-Straße, der Geschäftsstraße der Seestadt, so gestaltet, dass die Erdgeschoßzone viel niedriger wirkt als bei allen anderen Gebäuden in dieser Straße. Tovatt nennt das zuerst "komisch", dann schon mal "verrückt". "Es gibt sicher Argumente, warum das so gemacht wurde, aber wahrscheinlich waren die nicht besonders gut."

"Alles unglaublich"

Wenn Tovatt durch "seine" Stadt wandert, relativieren sich diese Erlebnisse aber schnell. Das Herzklopfen ist sein ständiger Begleiter. "Dass hier die Straßenlaternen da sind und dass das Wasser kommt, wenn man den Hahn aufdreht – alles Wahnsinn." "Sehr gut" findet er außerdem, dass in "seiner" Stadt alle Straßen und Plätze nach Frauen benannt wurden.

Dass er in Wien "von Anfang an ein Ausländer war, ein Fremder", habe schließlich auch seine positiven Seiten gehabt. "Dadurch war für mich manches einfacher. Ich konnte mich gewissermaßen schützen dadurch, dass ich anfangs nicht so gut Deutsch konnte."

"Durchgängig und durchlässig" sei sein Masterplan, davon ist der Architekt überzeugt. Mit den Überarbeitungen seit 2007 sei die Stadt auch dichter geworden, gleichzeitig sei man in der Seestadt aber auch nie weiter als eineinhalb Blocks von Grünraum entfernt.

"Große Gesten, kombiniert mit unerwarteten räumlichen Überraschungen" – so beschreibt Tovatt seine Ideen für den Masterplan. "Die großen Gesten können in der grundlegenden Struktur gesehen werden, im See, der Sonnenallee und den übergreifenden grünen Freiräumen. Die räumlichen Überraschungen – wo man verlorengehen kann – können in jenen Elementen gefunden werden, die nun in der ersten Stufe teilweise sichtbar werden: sekundäre Straßen, die sich zu mäandernden Wegen und Freiräumen entwickeln; städtische Blocks, die ihr Inneres nach außen kehren; Gebäude, die gleichzeitig einladen und ihren Inhalt und ihre Bedeutung hervorkehren."

Mehr Eigentumswohnungen

In der gebauten Wirklichkeit ist heute aber auch dem Masterplaner mancher Durchgang "ein bisschen zu eng". Etwa in der "Slim City", die mit halböffentlichen Bereichen im Innenhof – auf dem Asphalt aufgezeichneten "Parkplätzen" als Freiräume – und mit einem seltsam platzierten Basketballkorb auch medial für Kopfschütteln sorgte.

Mehr Eigentumswohnungen sollte es geben in der Seestadt, das ist ihm wichtig. "Denn eines war die Zielsetzung für alles: die städtische Vielfalt. Hier in der Seestadt darf alles, hier muss alles passieren. Es darf keine Wohnsiedlung werden. Es ist zu groß dafür, und zu weit weg. Die Vielfalt muss überall kommen."

Und wann wird die Seestadt fertig sein? 2030 gehe sich aus, sagt Tovatt – wenn die jetzige Geschwindigkeit beibehalten wird. "Das sollte man aber. Denn hier entsteht nur der aktuelle Wohnungsbedarf eines Jahres in Wien. Die Infrastruktur ist auch schon hier, also warum sollte man die Stadt nicht zügig fertigbauen?" (Martin Putschögl, 11.11.2015)