Stefanie Sargnagel arbeitet im Callcenter und veröffentlicht vorwiegend im Internet, gelegentlich aber auch Bücher. Wie jetzt "Fitness".

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Tendenziell sei sie "schon eine Rampensau. Im Internet sowieso." Jetzt auch auf der Bühne.

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Mit Politik hat sie nichts am Hut: "Ich empfinde das als Kasperltheater."

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Im Interview befürchtet sie bereits das Schlimmste: "STANDARD wird sicher arg."

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Auf STANDARD-Poster ist die 29-Jährige ganz schlecht zu sprechen, sie wirft ihnen Dummheit und Gehässigkeit vor.

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STANDARD: Es gibt derzeit einen richtigen Sargnagel-Hype, Sie sind ein Star. Ihr neues Buch "Fitness" ist gerade erschienen, die Lesungen sind ausverkauft, viele Medien bringen Geschichten und Porträts. Selbst STANDARD und "Heute" wollen Interviews. Ist Ihnen Ihr Status bewusst?

Sargnagel: Keine Ahnung. Dass ich eine gewisse Szene-Bekanntheit habe, das bin ich schon gewohnt, das läuft seit zwei Jahren. In den Milieus, in denen ich abhänge, kennen mich die Leute. Jetzt kommt diese Medien-Nachfrage. Aber ich merk das finanziell nicht. Ich hab halt viel zu tun. Mit Ihnen dasitzen, dauernd will jemand was von mir.

STANDARD: Was nicht Ihre herausragende Stärke ist.

Sargnagel: Genau. Ich fühle mich geehrt, aber lieber tät ich nichts machen. Ich sag immer zu und denk mir, das wird eh ganz einfach, und dann braucht's doch viel Zeit. Auftragstexte liegen mir zum Beispiel überhaupt nicht.

STANDARD: Für die "Süddeutsche Zeitung" haben Sie immerhin eine Rezension über das neue Album von Wanda geschrieben, das hat für große Aufmerksamkeit gesorgt.

Sargnagel: Wenn's nicht die "Süddeutsche" gewesen wäre, hätte ich das eh abgesagt. Ich seh mich nicht als Expertin für Musik. Aber jetzt bin ich stolz drauf: Mein Plan war, dass ich ganz viel über mich schreibe und die Aufmerksamkeit bekomme, nicht Wanda. Das hat gut funktioniert.

STANDARD: Sie arbeiten in einem Callcenter. Wissen die Kolleginnen, was Sie sonst so machen, schreiben, Bücher veröffentlichen?

Sargnagel: Das sind nette Leute dort, man kann gut interagieren, wenn man will, aber man muss nicht. Ich surf dort im Internet und bin geistig gar nicht so präsent. Ich red nicht viel mit den Kollegen. Aber diese "Heute"-Zeitung haben schon alle gesehen.

STANDARD: "Heute" brachte also den Durchbruch im Callcenter?

Sargnagel: Ja, aber ich will dort nur meine Ruhe haben. Man sitzt dort in einer Koje, ich mach dort nur mein Internetzeug.

STANDARD: Wer ruft da im Callcenter an?

Sargnagel: Das ist die Rufnummernauskunft. Deswegen kündige ich auch nicht. Und die Leute wollen nur ganz kurz mit einem sprechen, weil das Anrufen so teuer ist, das ist das Angenehme. Das ist kein sehr belastender Job.

STANDARD: Warum arbeiten Sie dort?

Sargnagel: Weil ich Geld brauch. Zum Leben. Ich weiß nicht, ob ich von den anderen Sachen leben könnte. Jetzt vielleicht, in den nächsten Monaten ...

STANDARD: Sie sind vorwiegend auf Facebook aktiv, lässt sich damit Geld verdienen?

Sargnagel: Eigentlich nicht, da müsste ich einen Blog machen, aber auch da braucht man eine Riesenreichweite.

STANDARD: Am "Falter"-Cover wurden Sie als lustigste Frau von Wien bezeichnet. Ist das nicht belastend, wenn da so eine Erwartungshaltung erzeugt wird?

Sargnagel: Das stört mich eigentlich nicht. Ich fühl mich nicht unter Druck gesetzt. Ich hab das Gefühl, das läuft jetzt eh ganz gut. Die Leute amüsieren sich bei den Lesungen, das Buch verkauft sich gut. Aber die mediale Präsenz wird überschätzt. Es ändert sich nichts, wenn du am "Falter"-Cover bist. Fernsehen ist arg, glaub ich. Und die "Heute"-Zeitung.

STANDARD: Werden Sie beim Schreiben jetzt vorsichtiger? Sie geben sehr viel Privates und Intimes preis.

Sargnagel: Nein, eigentlich nicht. Wenn man so humoristisch schreibt, hat man auch einen Abstand dazu.

STANDARD: Ist es nicht anstrengend, lustig sein zu müssen?

Sargnagel: Ich fühl mich nicht gezwungen dazu, ich mach das gerne. Ich muss mich eher zusammenreißen, dass ich nicht die ganze Zeit alles rauslasse.

STANDARD: Das Internet verleitet viele dazu, die Hemmungen abzulegen. Sie haben viele Fans, aber es gibt sicher auch viele, die nicht so toll finden, was Sie machen.

Sargnagel: Die Attacken kommen immer in Wellen. In der "Presse" war eine große Geschichte, da hatte ich mit vielen negativen Reaktionen gerechnet, das war aber nicht so schlimm. STANDARD wird sicher arg.

STANDARD: Warum glauben Sie das?

Sargnagel: In der ganzen Forum-Kultur geht es doch nur darum, Leute runterzumachen. Ich hab einmal im STANDARD eine kleine Erwähnung gehabt, da wurde schon voll auf mich losgegangen. Mich ärgert das. Wenn es wenigstens treffend oder intelligent wäre, aber es ist dumm und gehässig. Das ist doch eh bekannt, dass das bei Euch so arg ist. Die Leute lassen da den Frust raus, vielleicht auch, weil es anonym ist.

STANDARD: Ich fürchte, damit handeln Sie sich gerade einen ziemlichen Shitstorm ein.

Sargnagel: Das ist doch eh lustig.

STANDARD: Kränken Sie sich da nicht?

Sargnagel: Kränken tu ich mich nicht, das sind keine Leute, die ich respektiere. Ich ärgere mich nur über die Gehässigkeit.

STANDARD: Auf Facebook geht es ja auch nicht gerade sehr vornehm zu, da braut sich wegen nichtiger Anlässe schnell ein Shitstorm zusammen.

Sargnagel: Der Unterschied ist, dass die Leute auf Facebook mit Klarnamen auftreten und nicht anonym sind, da weiß man, mit wem man es zu tun hat.

STANDARD: Im Museum für angewandte Kunst läuft derzeit eine Ausstellung von Stefan Sagmeister über Glück, "The Happy Show". Dort hängt ein Chart, was glücklich macht. Glücklich machen Freunde, Familie, Sex und so weiter, aber Internetsurfen macht unglücklich. Können Sie das nachvollziehen?

Sargnagel: Kommt drauf an. Wenn ich aufs Smartphone schau, dann grins ich meistens. Ich amüsiere mich. Wenn es da ein gutes Posting gibt und gute Reaktionen, dann macht das Spaß. Es hat mir auch viel gebracht. Ich veröffentliche fast alles im Internet.

STANDARD: Wie viel Zeit verbringen Sie täglich mit Internet?

Sargnagel: Seit ich ein Smartphone habe, sehr viel. Zwischendurch hab ich es abgemeldet. Zu Hause hab ich gar kein Internet, ich geh zum Arbeiten ins Internetcafé oder ins Callcenter. Da mach ich vier Stunden am Tag meine Internetsachen.

STANDARD: Regt sich da niemand auf in der Arbeit?

Sargnagel: Das ist ja das Coole an der Arbeit. Es gibt Jobs, wo Facebook gesperrt ist, aber bei uns ist das völlig in Ordnung. Den Job würde sonst auch keiner packen, wenn man nicht nebenbei im Internet surft.

STANDARD: Sie haben geschrieben, Sie sind im Social Media realer als in der echten Welt. Wie würden Sie jetzt sein, wenn Sie so wären wie im Internet?

Sargnagel: Das ist das Angenehme an Interviews, ich muss nicht interagieren, ich brauch nur auf Ihre Fragen antworten. Am Anfang fand ich das komisch bei Interviews, dass nur ich red, dann hab ich mir angewöhnt, auch selbst nachzufragen, aber eigentlich brauch ich das nicht. Das ist das Schöne am Internet: Man braucht nicht so zu tun, als würde man sich für die anderen auch interessieren. Aber ich interessiere mich eh für Sie. Was wollen Sie wissen?

STANDARD: Was halten Sie von Poetry Slams?

Sargnagel: Ich hasse Poetry Slams.

STANDARD: Wirklich? Wollten Sie nicht Rapperin werden?

Sargnagel: Poetry Slam ist ja nicht Rap. Poetry Slam ist das Schlechteste von allen: das Schlechteste von Literatur, das Schlechteste von Rap und das Schlechteste von Comedy. Für 16-Jährige mag das cool sein. Aber es sind oft 30-Jährige mit so einem Weltverbesserungspathos, die sich bemühen, wie 16-Jährige zu reden. Ich schau mir das nur an, um mich zu ärgern.

STANDARD: Meinen Sie das ernst, dass Sie rappen wollen?

Sargnagel: Ja, das ist schon ernst gemeint.

STANDARD: Können Sie das?

Sargnagel: Das weiß ich noch nicht. Die Texte krieg ich hin, aber beim Performen bin ich mir noch nicht sicher. Aber ich will das sicher ausprobieren.

STANDARD: Verfolgen Sie die Tagespolitik?

Sargnagel: Ich hab eine ideologische Haltung, aber ich kann mit der Politik nichts anfangen. Ich empfinde das als Kasperltheater.

STANDARD: Die Flüchtlingsbewegungen interessieren Sie nicht?

Sargnagel: Doch, da engagiere ich mich auch. Da kann sich jeder engagieren. Ich bin da auch mit den Flüchtlingskonvois mitgefahren, da muss man aufpassen, dass man nicht gleich als Schlepper angezeigt wird.

STANDARD: Schreiben ist doch eine sehr einsame Tätigkeit, wie tun Sie sich auf der Bühne?

Sargnagel: Ich bin tendenziell schon eine Rampensau. Im Internet sowieso. Ich habe anscheinend das Gefühl, dass es sehr wichtig ist, was ich mache. Andere Leute haben mehr Hemmungen. Auf der Bühne krieg ich das mittlerweile auch ganz gut hin.

STANDARD: Wie viel an der Person Stefanie Sargnagel ist inszeniert? Die rote Mütze, das Bier in der Hand, die Poetin aus dem Gemeindebau?

Sargnagel: Ich hatte es ursprünglich nicht auf diese Öffentlichkeit angelegt, das hat sich entwickelt. Den Hut hab ich immer schon getragen, und mit der Bierdose steh ich halt oft herum. Jetzt, wo ich immer öffentlicher werde, wird das stärker zu einer Kunstfigur, eigentlich zu einer Comicfigur. (Michael Völker, 7.11.2015)