Wien – Sympathisch und substanzvoll die verbalen Reflexionen von Susanne Kirchmayr (alias Electric Indigo); elegant, wie sie die Begriffe Pop-, Sub- und Hochkultur auf ideologische Implikationen abklopfte: Grundsätzlich verleihen allerdings Reden (es gab auch eine des scheidenden Wien-Modern-Dramaturgen Matthias Losek) solchen Eröffnungen (diese fand im Konzerthaus statt) unabsichtlich etwas Parteitagsatmosphäre. Für den Festivalstart müsste in Hinkunft eine adäquatere Form zu finden sein.

Ein Stück, eine Performance von Kirchmayr rund um das dominante Abendwerk hätte passender gewirkt, wobei: Pierre Boulez' Pli selon pli – um Verse des französischen Symbolisten Stéphane Mallarmé kreisend – entfaltet mit seinem ersten heftigen Akkordschlag Sogwirkung, bindet Aufmerksamkeit und zaubert so ganz schnell alles Vorausgehende weg.

Das Werk funktioniert nach wie vor auf mehreren Ebenen: Es scheint mitunter eine musikalische Tropfsteinhöhle mit sporadischen Ereignissen zu sein. Es steigt allerdings mit impulsiven Linien nach und nach auf dramatische Energieplateaus empor und erlangt durch nie nachlassendes Vorwärtsdrängen schließlich narkotische Wirkung. Bei aller Strukturstrenge, die sich Pierre Boulez über viele Jahre abgerungen hat, ist die Wirkung also unmittelbar sinnlich – auch dank der kontrastreichen Klanglichkeit.

Das Radio-Symphonieorchester Wien ist dabei mit konzentrierter Eleganz nahe an Puls und Charakter des Werkes. Chefdirigent Cornelius Meister erweckt mit den Seinen sowohl das Strenge, das Auratische wie das Energetische. Dass Pli selon pli höchste Ausmaße an Delikatheit und Glanz erlangte, ist vor allem aber auch der Sopranistin Marisol Montalvo zu verdanken. Mit Leichtigkeit die hohen, kühlen Töne hauchen. Ungefährdet auch jene Momente mit dichtem Ausdruck besetzen, die imposante Intervallsprünge einfordern. Kein Problem. Eher phänomenal. (Ljubisa Tosic, 6.11.2015)