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In der Hauptstadt Freetown wurde das Seuchenende gefeiert.

Foto: AP / Marrier d'Unienvil

Freetown – Krankenschwester Esther Y. Bangura ist an diesem Montagmorgen ein paar Minuten zu spät dran. Als sie die Modia-Klinik, eine ambulante Gesundheitsstation, erreicht, schlüpft sie in ihre pinke Hose, setzt ihre Lesebrille auf und blättert durch das große Buch, das an der Anmeldung liegt und in dem jeder Patient registriert wird. Doch es ist so, wie es in den vergangenen Wochen oft auch war: Niemand wartet auf sie. Dabei haben die Bewohner, die am Rande der Kleinstadt Lungi leben, kaum eine andere Möglichkeit für medizinische Behandlung.

Die Schwester macht ein enttäuschtes Gesicht. Nur zu gerne würde sie sich um Patienten kümmern. Doch die haben in Sierra Leone häufig Angst, Krankenstationen und Spitäler aufzusuchen. Das ist eine Auswirkung der Ebola-Krise, die in dem westafrikanischen Staat mit rund sechs Millionen Einwohnern besonders heftig tobte. Mehr als 14.000 Verdachtsfälle gab es. Offiziell starben 3589 Menschen. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.

Krankenhäuser machten zu

Eine Maßnahme zur Eindämmung war das Schließen zahlreicher Krankenhäuser, um Ansteckungen zu vermeiden. Auch die Modia-Klinik machte zehn Monate lang dicht. "Ich wurde panisch, wenn ich nur von Ebola hörte", erinnert sich die Krankenschwester an das vergangene Jahr.

Die Spitalsschließung hatte zur Folge, dass zehn Monate lang niemand bei Malaria, Durchfall oder Fieber half. Jetzt ist es schwierig, das Vertrauen zurückzugewinnen. Das hat auch finanzielle Auswirkungen: Gesundheitsstationen wie die Modia-Klinik sind private Einrichtungen. Als Mitglied der Christlichen Gesundheitsorganion von Sierra Leone (Chasl) erhält etwa die Modia-Klinik zwar Unterstützung von der europäischen Diakonie-Katastrophenhilfe, nicht aber von der Regierung. Dabei, so sagt Chasl-Direktor Walter Carew, gebe es in einigen Teilen des Landes nicht einmal staatliche Krankenhäuser.

Gehälter gekürzt

Die medizinische Versorgung galt in Sierra Leone, wo bis 2002 ein Bürgerkrieg tobte und wo es noch 2012 zu einem schweren Cholera-Ausbruch kam, schon immer als schlecht. Der Ebola-Ausbruch hat den Staat nun erneut um Jahre zurückgeworfen.

Das spürt Krankenschwester Bangura, die noch immer auf Patienten wartet: "Anfang des Jahres ist mein Gehalt gekürzt worden. Dabei bin ich alleine und habe drei schulpflichtige Kinder. Manchmal weiß ich nicht, wie ich das schaffen soll." Eine Krankenschwester in Sierra Leone verdient je nach Ausbildung und Arbeitserfahrung umgerechnet zwischen 120 und 220 US-Dollar pro Monat. Bangura schätzt, dass sie drei bis vier US-Dollar täglich braucht, um ihre Familie zu ernähren.

In US-Dollar rechnet Mbalu Sesay schon lange nicht mehr um. Die 45-Jährige lebt in Manoh in der Nähe der Provinzhauptstadt Makeni. Seit die Seuche in ihrem kleinen Dorf wütete, ist auch sie mit fünf Kindern alleinerziehend: Ihre Eltern und ihr Mann starben an Ebola.

Nur knapp überlebt

Sie selbst überlebte knapp. "All das ist jetzt ziemlich genau ein Jahr her", erzählt die zierliche Frau, die müde und erschöpft wirkt: "Es fing damit an, dass ich Fieber bekam und mich übergeben musste. Mein Mann hat mich gepflegt." Als ihr Zustand immer schlechter wurde, kam sie mit der schrecklichen Diagnose in ein Spezialkrankenhaus.

Nach einer Woche konnte sie entlassen werden. "Doch als ich nach Hause kam, war da nichts mehr. In der Zwischenzeit war mein Mann an Ebola gestorben. Und sie hatten unser Haus niedergebrannt." Auch das galt als eine Maßnahme zur Ebola-Eindämmung. Für die Betroffenen hieß das jedoch: Sie hatten tatsächlich alles verloren.

Mbalu Sesay laufen Tränen über die Wangen. "Mein Mann hat alles für mich getan. Jetzt sitze ich manchmal da und denke an ihn. Das macht mich so traurig." Grund zum Feiern gab es für sie deshalb nicht, als ihre Heimat am Samstag von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wieder als frei von Ebola eingestuft wurde, weil 42 Tage am Stück kein neuer Fall aufgetreten ist.

"Wovon sollen wir noch leben? Die Wirtschaft ist total zusammengebrochen", sagt Mbalu Sesay und versucht, ihre Stimme ein wenig fester klingen zu lassen. Etwas anderes nagt aber noch viel stärker an ihr: "Der soziale Kontakt ist nicht mehr da ..." Mitten im Satz stockt sie. Die Tränen, die über ihre Wangen laufen, wischt sie nicht weg. (Katrin Gänsler, 9.11.2015)