Brüssel will auf Euro und Cent genau wissen, wie viel Geld der Staat für Pendlerzüge ausgibt und ob – beispielsweise auf der Weststrecke – eh nicht versteckt subventioniert wird.

Brüssel/Wien – Die Frage, wie viel Transparenz die Finanzierung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs braucht und wer Einblick in die Finanzströme bekommt, beschäftigt nicht nur Verwaltungsgerichte in Österreich, sondern auch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Die EU-Kommission blickt bei den Finanzströmen zwischen öffentlicher Hand und ÖBB-Konzern immer noch nicht durch und verschärft ihre Gangart gegen die Republik Österreich.

Nach zahlreichen Schriftwechseln und Verhandlungen mit dem Verkehrsministerium in Wien im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens hat die Kommission beim EuGH Klage eingebracht. Die Beklagte "stelle nicht sicher, dass in den entsprechenden Rechnungen die öffentlichen Mittel für die Erbringung öffentlicher Personenverkehrsdienste nach Aufträgen separat aufgeschlüsselt und Kosten und Einnahmen getrennt ausgewiesen und veröffentlicht werden", so die Info auf der EuGH-Website. Eingereicht wurde die Klage am 9. Juli.

Die EU-Kommission lastet Österreich an, "dass sie die ÖBB-Personenverkehr nicht verpflichtet hat, die öffentlichen Ausgleichszahlungen sowie die Kosten und Einnahmen für jeden öffentlichen Dienstleistungsauftrag zu veröffentlichen."

Verkehrsministerium bestreitet Vorwürfe

Das zuständige Verkehrsministerium in Wien bestreitet die Vorwürfe, die Finanzflüsse zur ÖBB-Personenverkehr entsprächen den EU-Bestimmungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen.

Hintergrund des seit Jahren schwelenden Streits: Die ÖBB veröffentlicht in ihren Bilanzen wohl einen Großteil der vom Steuerzahler finanzierten Verkehrsverbindungen. 2014 waren das gemäß Jahresabschluss der ÖBB-Personenverkehr AG 635,6 Millionen Euro aus gemeinwirtschaftlichen Leistungsaufträgen des Bundes und 152,2 Millionen Euro an "Erträgen aus sonstigen gemeinwirtschaftlichen Leistungsaufträgen". Erstere resultieren aus dem Verkehrsdienstvertrag (VDV) mit dem Bund, der bis 2019 läuft und die Gewährung von Sozialtarifen ebenso umfasst wie rund 72 Millionen Zugkilometer (davon zwölf im Fernverkehr) an Pendlerzügen, die sich betriebswirtschaftlich nicht rechnen. Weitere rund zehn Millionen Kilometer bestellen Länder, Gemeinden und "sonstige Dritte", was die zuvor genannten 152 Millionen Euro ausmacht.

Zuzahlung zu Wagenmaterial

Hinzu kommen 60,05 Millionen Euro an "Kostenbeiträgen von Dritten zur Attraktivierung des Personenverkehrs", wie es im Einzelabschluss der ÖBB-Personenverkehr AG heißt. Darunter zu verstehen sind Finanzierungsbeiträge zum Fahrpark, wie sie zum Beispiel das Land Niederösterreich bei den Doppelstockwagen ("Wiesel") leistete.

Angaben zur Abgeltung von Schüler- und Lehrlingsfreifahrten sucht man dort allerdings vergeblich. Sie kommen aus dem Familienlastenausgleichsfonds (Flaf) und primär nicht dem Schienenpersonenverkehr zugute, sondern überwiegend dem Postbus. Der Flaf schüttet dafür jährlich rund 400 Millionen Euro aus, bis vor vier Jahren bekamen ÖBB-Personenverkehr und ÖBB-Postbus aus dem Topf rund 140 Millionen Euro.

Auf Euro und Cent pro Strecke

Der EU-Kommission sind diese Angaben nicht genau genug. Sie verlangt, vereinfacht ausgedrückt, Streckenerfolgsrechnungen pro Linie, will also wissen, warum die Republik für einen Doppelstockzug (in dem möglicherweise doppelt so viele Pendler sitzen) gleich viel Abgeltung pro Kilometer bekommt wie für eine einfache Schnellbahngarnitur, die im Betrieb billiger ist, aber auch weniger Umsatz bringt.

Im Verkehrsministerium sieht man die Klage der EU-Kommission gelassen. Von der umfangreichen Mängelliste der Kommission betreffend die Finanzströme zwischen öffentlicher Hand und ÖBB-Konzern sei nicht viel übrig geblieben. Die nun geforderte Offenlegung der Kalkulation pro Zugverbindung sei durch die EU-Richtlinie über die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen nicht gedeckt, betonte der Generalsekretär im Verkehrsministerium, Herbert Kasser, auf STANDARD-Anfrage. Die von der ÖBB gelieferten Daten seien von Wirtschaftsprüfern geprüft und ausreichend. Wenn sich die Kommission im Verfahren auf die kommenden strengeren Regeln ("Recast") berufe, dann sei das nicht zulässig, weil diese noch nicht gelten, sagt Kasser. (Luise Ungerboeck, 9.11.2015)