Islamwissenschafter Muhamed Fazlovic: "Flüchtlinge brauchen in erster Linie Sicherheit."

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St. Christoph – Lässt sich angesichts der aktuellen Fluchtbewegung aus islamischen Ländern nach Europa der "culture clash", der kulturelle Zusammenprall, verhindern? Vertreter der monotheistischen Religionen dachten beim ersten Gipfel der Religionen am vergangenen Wochenende in St. Christoph am Arlberg über Wege des guten Zusammenlebens nach.

"Da kommen Massen, die keine Ahnung von unseren Gesetzen haben, die Gleichheit der Geschlechter nicht akzeptieren, Homosexualität nicht tolerieren, Gewaltfreiheit nicht leben." Die Geistlichen wurden von den Zuhörenden mit jenen Ängsten konfrontiert, die immer stärker in Internetforen und bei Demonstrationen laut werden.

Damit aus Angst nicht Aggression wird

Wer sich selbst schwach fühle, für den würde der andere zur Bedrohung, sagte Giampietro Dal Toso, Leiter des päpstlichen Entwicklungsministeriums. Die Politik müsse die Ängste der Menschen ernst nehmen, damit Angst nicht in Aggression umschlage.

Europa solle aber die Chance nützen, der Welt den Humanismus zu erschließen, sagte der Vatikanvertreter. Der christliche Glaube könne die Kraft dazu geben.

Flüchtlinge brauchen Sicherheit

Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, die um ihr Leben rennen, brauchten keine Diskussion um Religion und Philosophien, sagte der junge Islamwissenschafter Muhamed Fazlović aus Sarajevo. "Sie flüchten vor dem Chaos in ihren Heimatländern, wünschen sich nichts mehr als Sicherheit, Ordnung, einen geregelten Alltag." Der Wunsch nach Freiheit und Sicherheit stünden an erster Stelle für diese Menschen. Ihnen diese Sicherheit zu geben sei wichtiger als Wertekurse, sagte Fazlović zu derStandard.at.

Er erinnerte an die Geschichte seiner Heimatstadt Sarajevo. Dort hätten die Religionen in friedlicher Koexistenz gelebt. Der Islam sei entgegen manch anderslautender Ansichten europäischer Politiker ein Teil Europas. "So gesehen, sind die Flüchtlinge, die jetzt kommen, keine Fremden. Sie sind Verwandte, die Hilfe bei Verwandten suchen. "Muhamed Fazlović weiß, wovon er spricht. Er lebte während des Bosnienkriegs als Flüchtlingskind in Wien. "Wie meine Familie wird ein Großteil der Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückkehren, wenn dort wieder stabile Verhältnisse herrschen."

Nur keine Besserwisserei

Der britisch-deutsche Rabbiner Walter Rothschild appellierte an die Bereitschaft zur Toleranz. Pluralismus gehöre aus seiner Sicht zu Gottes Plan: "Es kann mehr als eine Wahrheit geben." Dies schließe jedoch kritische Auseinandersetzung nicht aus. Eine gepflegte Streitkultur würde unserer Gesellschaft guttun: "Aber immer im gegenseitigen Respekt."

Besserwisserei und Mission sei nicht der geeignete Weg zum Miteinander der Religionen und Kulturen. Eingeladen zum Gipfel im Gebirge hatte Hotelier Florian Werner, der das Treffen der Religionen in seinem neuen Kulturzentrum arlberg1800 jährlich veranstalten will. (Jutta Berger, 9.11.2015)