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Nach dem Attentat auf "Charlie Hebdo" im Jänner wagte man bald einen Neuanfang. Zum neuen Herausgeber wurde Laurent Sourisseau bestimmt. Er publiziert unter dem Pseudonym "Riss".

Foto: APA / EPA / Carlos Villalba R

Die Zeitung "Le Monde" publizierte in ihrer Wochenendausgabe mehrere E-Mails, die Ermittler auf einem Computer des Geiselnehmers Amédy Coulibaly gefunden haben. Ihr Inhalt lässt die Anschläge mit insgesamt 17 Todesopfern in einem neuen Licht erscheinen. Bisher war nur bekannt, dass sich die Brüder Saïd und Chérif Kouachi sowie Coulibaly untereinander abgesprochen hatten; sie selbst nannten es "Synchronisierung".

Die drei kannten sich aus dem Gefängnis, wo sie sich unter dem Einfluss von Islamisten radikalisiert hatten. Einer von ihnen, Saïd Kouachi, war 2011 zu einer Kampfausbildung in den Jemen gereist. Doch die Anschläge auf die Redaktion der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" und den jüdischen Supermarkt im vergangenen Jänner hatten sie nach Polizeierkenntnissen selbst organisiert und durchgeführt.

Anweisungen per E-Mail

Die E-Mails machen nun klar, dass die Doppelaktion wohl von außen gesteuert war. Geiselnehmer Coulibaly erhielt jedenfalls genaue Anweisungen, die Ermittler am ehesten einem französischen Mitglied der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien zuordnen. "Okay, tu, was du heute zu tun hast" ("Ok, fé ske ta a fair aujourd'hui"), erklärte zum Beispiel am 7. Jänner ein mutmaßlicher Auftraggeber in typischem Banlieue-Französisch.

Während die Kouachi-Brüder an jenem Tag die Redaktion von "Charlie Hebdo" heimsuchten und elf Menschen töteten, handelte Coulibaly im Alleingang: Zuerst schoss er – zu Übungszwecken? – auf einen Jogger in der Nähe seiner Wohnung. Danach brachte er in Paris-Montrouge eine Polizistin um, während die Kouachis auf der Flucht waren.

Per E-Mail wurde ihm mitgeteilt, er werde "bald Anweisungen" erhalten, wie er weiter vorzugehen habe; unter anderem müsse er "in einem Video erklären, dass Zigoto im Namen von 'd' helfen". Die Ermittler vermuten, dass mit "Zigoto" die Gebrüder Kouachi und mit "d" die Terrormiliz IS – auch "Daesh" genannt – gemeint waren.

Coulibaly informierte seinen anonymen Befehlsgeber seinerseits, wie viele Waffen er hatte: "ein Sturmgewehr AK74 mit 275 Patronen, sechs Tokarew-Pistolen mit 69 Patronen, drei kugelsichere Westen, zwei Tränengassprays und zwei Messer."

Am 8. Jänner wurde er zu seiner wichtigsten Mission losgeschickt. "Freunde unmöglich, allein arbeiten", erhielt er unter anderem in einer E-Mail mitgeteilt. Tags darauf, am 9. Jänner, als sich die Brüder Kouachi östlich von Paris in einer Fabrik verschanzt hielten, stürmte Coulibaly den jüdischen Supermarkt Hyper Cacher und brachte vier Menschen um, bevor er einige Stunden später selbst von Polizisten einer Eliteeinheit erschossen wurde.

Rätsel um Auftraggeber

Wer der ominöse, offensichtlich frankofone Auftraggeber sein könnte, ist der Hauptgegenstand der französischen Ermittlungen. Meistgenannt wird der Name Salim B.. Dieser 35-jährige Franzose stammt aus dem Pariser Vorort Cachan und kannte einen der Kouachi-Brüder, Chérif, sowie Coulibaly.

Auch stand er in Verbindung zu radikalen Islamisten des "Netzwerks Buttes-Chaumont", das junge Franzosen in den irakischen Jihad vermittelte. 2012 reiste Salim B. selbst nach Syrien. Mehrere westliche Geiseln, die der IS gefangen hielt, erkannten in ihm einen ihrer Wächter.

Die USA führten ihn 2014 in einer Liste der zehn gefährlichsten IS-Kämpfer. Dem Vernehmen nach haben französische Kampfjets schon mehrmals Luftschläge mit dem Ziel lanciert, Salim B. zu neutralisieren, weshalb er, sofern er noch am Leben ist, Mutmaßungen zufolge den ferngesteuerten Jihad gern ein weiteres Mal nach Frankreich tragen würde. (Stefan Brändle aus Paris, 10.11.2015)