"Das seit fast vierzig Jahren bedeutendste deutschsprachige Dokumentarfilmfestival" nannte die nordrhein-westfälische Kulturministerin Christina Kampmann bei ihrer Eröffnungsrede die Duisburger Filmwoche und sorgte damit in der lokalen Presse für begeistertes Echo. Dabei löst sich das Kompliment schnell in ein freundliches Fast-Nichts auf. Denn die Filmwoche ist in Wirklichkeit auch die einzige Veranstaltung, die sich explizit Dokumentarfilmen deutscher, österreichischer und Schweizer Herkunft widmet. Dennoch ist sie etwas ganz Besonderes. Sie leistet sich mit der Konzentration auf einen Kinosaal und festen Diskussionszeiten eine sonst wo kaum erlebbare kollektive Konzentration.
Ein unzeitgemäßer Luxus also, auch wenn die einst berüchtigten Kreuzverhöre längst zu emphatischen Filmgesprächen geworden sind, bei denen der langjährige Festivalleiter Werner Ruzicka im Notfall auch einmal entschärfend eingreift. Und statt der politisierten Kombattanten von früher füllen den Debattenraum junge Filmschaffende, deren Beiträge von Neugier und oft auch handwerklichem Interesse bestimmt sind.
Flüchtlinge, Fremdarbeiter
So ist Duisburg vom Ort ideologischer Debatten zu einem lebendigen und jungen Arbeitsfestival geworden: ein Umfeld, in dem sogar der 1972 geborene Nikolaus Geyrhalter schon fast wie ein Altmeister aussah, als er nun mit einem Werkstattgespräch und dem 3sat-Preis für seine Langzeitstudie Über die Jahre auch ins Zentrum der Filmwoche geriet.
Es war auch Geyrhalter, der mit einer von österreichischen Filmschaffenden erfolgreich gestarteten Petition für eine andere Flüchtlingspolitik (http://for-a-1000-lives.eu/) das derzeit dominante politische Thema praktisch in die Filmwoche brachte. In den Filmen standen globale Displatzierungen schon lange vor den derzeitigen Aufgeregtheiten im Fokus. Es war eine kluge Idee, dieses Jahr zusätzlich zu aktuellen Arbeiten wie Iraqi Odyssey von Samir oder Jakob Brossmanns Lampedusa im Winter (Publikumspreis) mit dem 1964 veröffentlichten Siamo Italiani (Alexander Seiler, June Kovach und Rob Gnant) einen Schweizer Film ans Licht zu bringen, der als erste, umstrittene deutschsprachige Arbeit den ins Land geholten Fremdarbeitern selber eine Stimme gab.
Heute zeigt die in kantigem Schwarz-Weiß gedrehte Arbeit uns auch, dass Fremdenhass nicht den Vorwand des Islam braucht, um ein Angriffsobjekt zu finden.
"Sehen, was sich zeigt"
"Sehen, was sich zeigt, statt rahmen, was man versteht" heißt es im Programmtext zur diesjährigen Filmwoche. Vorbildlich erfüllte dieses Motto der Film Die Schwimmer (Arte-Preis) der in Berlin lebenden Russin Kristina Paustian, der einer um einen Ex-Wissenschafter gescharten russischen Sekte und ihren bizarren Baderitualen folgt und sich mit seinem unbestimmten schwebenden Gestus jeder eindeutigen Lesart entzieht – auch wenn sich Assoziationen zum Putinismus anbieten.
Zum Ausgang der unter dem Motto "Ausgänge" stehenden Filmwoche gab es mit der Präsentation des von Alejandro Bachmann im Sonderzahl-Verlag herausgegebenen, facettenreich bestückten und prächtig bebilderten Bandes Räume in der Zeit. Die Filme von Nikolaus Geyrhalter in Duisburg noch einmal Österreichs bedeutendsten Dokumentarfilmer. Der nahm die interpretatorischen Überschwänglichkeiten dankbar aber – ganz Praktiker – auch mit Augenzwinkern hin. (Silvia Hallensleben aus Duisburg, 10.11.2015)