STANDARD: Die neue Partei Most hat in Kroatien auf Anhieb 19 Sitze im Parlament errungen. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Bieber: Das Phänomen Most ist so ähnlich wie die Partei des jetzigen Premiers Miro Cerar in Slowenien: Sie wurden gewählt, weil sie technokratisch, pragmatisch und weniger ideologisch sind. Es zeigt die Unzufriedenheit mit etablierten Parteien, aber Most ist nicht radikal populistisch, sondern polarisiert einfach weniger als die beiden großen Parteien. Von den Rechten werden die Sozialdemokraten in Kroatien als "Nachfolger der Partisanen" porträtiert; von den Linken werden die konservativen HDZler als "Verehrer des Kriegs" gezeichnet. Damit kann man vielleicht Kernwähler mobilisieren, aber viele fühlen sich vor den Kopf gestoßen, weil das nicht die grundlegenden Probleme von Kroatien sind.

STANDARD: Sowohl der Sozialdemokrat und Premier Zoran Milanovic als auch der nationalkonservative Tomislav Karamarko haben nationalistische Töne angeschlagen. Offensichtlich hat ihnen das aber nicht genützt. Weshalb?

Bieber: Weil beide mit Nationalismus gespielt haben, hat sich das neutralisiert. Es war quasi "gehupft wie gesprungen", wen man in dieser Hinsicht wählt. Und Most hat profitiert, weil die Wähler sehen konnten, dass diese nationalistischen Debatten Scheingefechte sind. Sicher hat aber die Flüchtlingskrise den Wahlkampf nicht definiert. Wenn sich aber nur die HDZ als "patriotische Kraft" artikuliert hätte, hätte die SDP wahrscheinlich verloren.

STANDARD: Wie sehen Sie die Zukunft der Protestpartei Most?

Bieber: Protestwähler suggerieren Kurzfristigkeit, aber es kann auch langfristig erfolgreiche Protestparteien geben. Das sieht man etwa an der Partei Gerb in Bulgarien. Bei dieser Wahl in Kroatien haben linke und rechte Protestparteien nicht gepunktet. Der Erfolg von Most zeigt, dass es einen Protest des Zentrums gab, denn die Partei lehnt nicht generell Politik ab. Aber die Frage ist natürlich, wie man das umsetzt. Bisher hat Most keine klaren Strukturen, und das Risiko des Scheiterns ist natürlich groß, wenn man zu einer etablierten Partei wird und Teil einer Regierung; denn dann muss man sich klar deklarieren und enttäuscht natürlich auch viele Wähler. Das kann die Partei dann auch zerlegen. (Adelheid Wölfl, 10.11.2015)