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Carson fällt mit ruhiger Art und radikalen Tönen zugleich auf.

Foto: AP/Alan Diaz

Ben Carson stand im Scheinwerferlicht einer Debattenbühne, er faltete die Hände und lächelte milde, als die Frage kam, warum er immer so ruhig wirke, als nehme er den Trubel ringsum gar nicht wahr. Nun, er sei nun einmal kein aufbrausender Mensch – schreien sei nicht sein Ding, antwortete der Neurochirurg und warf seinem Konkurrenten Donald Trump einen amüsierten Seitenblick zu. Damit hatte Carson seine Nische gefunden, die Nische des freundlichen Populisten.

Auch er ist ein Newcomer der Politik, auch seine Thesen sind oft so bizarr wie die Sprüche, die der Immobilienmagnat klopft. Doch während Trump lautstark gegen jeden lospoltert, der ihm zu widersprechen wagt, erweckt Carson den Eindruck, als nähme er an einer Therapiesitzung teil.

Aus der Nische ist mittlerweile ein Spitzenplatz geworden. In den Umfragen der US-Republikaner führt Carson – vor Trump, Marco Rubio, Ted Cruz und Jeb Bush. Carson (64) steht für den Rebellengeist einer Basis, die sich seit den ersten Tea-Party-Wellen gegen jeden auflehnt, der Politik im Hauptberuf betreibt. Ein wenig steht er auch für den Versuch der "Grand Old Party", endlich wieder bei jener Wählerschaft zu punkten, die sie praktisch abgeschrieben hatte.

Als Afroamerikaner imprägniert er die Konservativen gegen den Vorwurf, rassistische Hintergedanken zu hegen, wenn sie gegen Barack Obama wettern. Schließlich gehört er selber zu denen, die den Präsidenten am schärfsten kritisieren.

Rede wird zum Youtube-Hit

Angefangen hat es 2013 mit einer Rede beim National Prayer Breakfast, einem politisch-religiösen Forum in Washington. Carson sprach von moralischem Verfall und fiskalischer Verantwortungslosigkeit. Die Kombination, orakelte er, könnte die USA ebenso zu Fall bringen wie einst das antike Rom. Millionenfach angeklickt wurde der Mitschnitt des Auftritts in Tea-Party-Kreisen ein Hit.

Mat Larson

Seitdem ist Carson ein Held der zornigen Rebellen, und was er neulich über Abtreibungen sagte, ließ ihn zum Helden evangelikaler Christen werden. Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen, verglich er mit Sklavenhaltern: Auch die hätten geglaubt, mit menschlichem Leben verfahren zu können, wie immer sie es für richtig hielten.

Die neue obligatorische Krankenversicherung charakterisiert er als eine so rigorose Form staatlicher Kontrolle, dass sie an Nazideutschland denken lasse. Carson, schreibt der Kolumnist Jelani Cobb, liefere den besten Beweis dafür, dass sich paranoides Denken nicht auf Weiße beschränke. Seine Popularität indes erkläre sich nicht aus Parolen, sondern durch seine Lebensgeschichte.

Carsons Mutter Sonya, nach drei Klassen von der Schule abgegangen, schlug sich als Putzfrau durch. Mit 13 hatte sie geheiratet und nach ein paar Jahren entdeckt, dass ihr Mann parallel in zwei Familien lebte. Nachdem sie ausgezogen war, wuchsen ihre zwei Söhne in einer Slumwohnung auf. Obwohl Sonya praktisch Analphabetin war, achtete sie darauf, dass die beiden jede Woche zwei Bücher lasen. Sie ließ sie Aufsätze darüber schreiben und gab vor, sie zu begutachten. "Dass sie nicht lesen konnte, wussten wir nicht", sagt Carson.

Dann ist da die Geschichte einer Läuterung, wie die christliche Rechte sie liebt: Der Mittelschüler Carson versucht einem Mitschüler, der ihn gehänselt hatte, ein Messer in den Bauch zu rammen, die Klinge trifft aber nur die Gürtelschnalle und bricht. Der reuige Angreifer rennt nach Hause, schließt sich ein und betet, dass Gott ihm seinen Jähzorn nehmen möge. Danach sei er ein anderer Mensch gewesen, schreibt Carson in seinem Memoirenband.

Er studiert, im Alter von 33 Jahren übernimmt er die Kinderneurochirurgie der Johns-Hopkins-Klinik in Baltimore. 1987 leitet er ein Chirurgenteam, das zum ersten Mal an den Köpfen zusammengewachsene siamesische Zwillinge trennt.

Es klingt wie aus einem Lehrbuch, wenn Carson seine Mutter zitiert: "Hast du keinen Erfolg, bist ganz allein du daran schuld". (Frank Herrmann, 10.11.2015)