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Die Universität Wien nützte ihr 650-Jahr-Jubiläum für diverse öffentliche Aktivitäten. Wie wird sie im 651. Jahr ihres Bestehens daran anschließen?

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Wien – "Wir müssen mehr heraus aus dem Elfenbeinturm und mehr in die Gesellschaft! Wo sind die Verbindungen der Universität zur Erwachsenenbildung? Wo ist der Einfluss, den die Universität in der Gesellschaft, in der Kultur haben könnte?" Dieses selbstkritischen Fragen stammen von einem nicht mehr ganz jungen, aber hellwach gebliebenen Wissenschafter: Hans Tuppy hat sie in einem Interview kurz vor seinem 90. Geburtstag geäußert.

Der große Biochemiker hat wie kein anderer österreichische Forscher das heimische Wissenschaftssystem geprägt – als Professor, FWF-Präsident, Rektor, ÖAW-Präsident und auch als Wissenschaftsminister. Seine Worte haben nicht nur innerhalb der Community bis heute Gewicht. Bleiben zumindest zwei Fragen im Anschluss an seine kritischen Diagnosen: Wie könnte sich der Staus quo ändern lassen und die Universität wieder mehr Einfluss auf die Gesellschaft nehmen? Und die zweite Frage: War es jemals anders?

Um mit dem historischen Part zu beginnen: Mir scheint, dass die Situation in den letzten Jahrzehnten noch schlechter war. Alle Universitäten haben sich zuletzt im Bereich Öffentlichkeitsarbeit eindeutig verbessert, wenngleich im Vergleich mit internationalen Top-Unis immer noch viel Luft nach oben ist. Die Abteilung Hochschulkommunikation der ETH Zürich, traditionell eine der besten kontinentaleuropäischen Unis, hat gut 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die meisten österreichischen Unis kommen mit einem Zehntel oder weniger aus.

Die Einführung der Außeninstitute

In Österreich war universitäre Öffentlichkeitsarbeit bis in die 1970er-Jahre eher ein Fremdwort. Erst unter der Ägide des neu gegründeten Wissenschaftsministeriums und der Ressortchefin Hertha Firnberg wurden die damals sogenannten Außeninstitute eingeführt, die von da an für Wissenschaftskommunikation zuständig waren. Außeninstitute hießen sie nicht zuletzt deshalb, weil man sie damals an den meisten Unis eigentlich gar nicht haben wollte.

Um diese universitäre Skepsis gegenüber der Öffentlichkeit besser zu verstehen, müssen wir uns weiter zurückbegeben in die Geschichte. Rund um 1900 spielten die Universitäten – und dabei insbesondere die Universität Wien – tatsächlich jene Rolle, die Hans Tuppy und andere vor Augen haben: Die Alma Mater Rudolphina war die erste kontinentaleuropäische Uni, die mit großem Erfolg volkstümliche Universitätskurse für die Bevölkerung Wiens einführte, aus denen die Volkshochschulen Europas hervorgingen.

Öffentliche Debatten wurden ganz wesentlich von Professoren der Universität mitgeprägt, die damals in der Gesellschaft angekommen war. Und das durchaus mit wechselseitigem Nutzen. So meinte etwa der Ökonom Eugen Philippovich, Rektor der Universität Wien im Jahr 1906: "Es gibt keine zweite staatliche Institution, um deren Erhaltung, Weiterbildung, Nutzbarmachung für weitere Volkskreise Jahr für Jahr sich privater Eifer und Wohltätigkeitssinn in gleichem Maße bemühte." Nach heutigem Umrechungskurs erhielt die Universität in den ersten fünf Jahren des 20. Jahrhunderts 20 Millionen Euro an Spenden – bei zehn Prozent der heutigen Studierenden.

Die verpönte Popularisierung

Nach dem Ersten Weltkrieg war es mit dieser gesellschaftlichen Mittlerrolle der Universität bald vorbei: Hinter der Öffnung der Universität und den Wissenschaftsvermittlungsaktivitäten um 1900 waren vor allem liberale und linke Universitätslehrer gestanden. Sie gerieten in den 1920er-Jahren ins Hintertreffen, als eine Allianz aus rechten, katholischen und deutschnationalen Professoren die Macht übernahm. Wissenschaft in die breite Bevölkerung zu bringen, erschien diesen Antidemokraten als politisch links, demokratisch – und daher verwerflich.

So nimmt es auch nicht wunder, dass etwa die Denker des Wiener Kreises in ihrer Programmschrift 1929 die Volkshochschulen quasi als die besseren Universitäten lobten: Viele jener erstklassigen Forscher, die an der Universität aus politischen oder rassistischen Gründen keine Karriere machen konnten (wie etwa der Philosoph und Physiker Edgar Zilsel, der Biologe Paul Kammerer oder der Chemiker Fritz Feigl), waren in der frühen Erwachsenenbildung aktiv. Die Universitäten hingegen schotteten sich mehr und mehr von der Gesellschaft ab – ein Prozess, der im Grunde bis in die 1970er-Jahre anhielt.

Fehlende strukturelle Anreize

Stimmt Hans Tuppys Diagnose, die ich im übrigen teile, dann herrscht an österreichischen Universitäten auch heute noch Öffnungsbedarf. Zwar kommen ihre Forscherinnen und Forscher immer wieder in den Medien und nicht nur auf den Wissenschaftsseiten vor. Es besteht aber auch da noch Luft nach oben.

Die große Frage ist nun allerdings, ob es genügend strukturelle Anreize sowohl auf kollektiver wie auch auf individueller Ebene gibt, sich diese Art der Öffentlichkeitsarbeit anzutun. Ich würde sagen: nein. Der Grund sind meines Erachtens neue strukturelle Rahmenbedingungen, mit denen die Universitäten seit gut zehn Jahren zu kämpfen haben und die ihre Rolle wieder eher in Richtung "Schließung", konkret: in Richtung Forschung verschieben.

Die Fixierung auf Forschungsoutput

Schuld daran sind zum einen die internationalen Universitätsrankings, in denen die heimischen Hochschulen bekanntlich nicht allzu gut abschneiden. Je nach Ranking wird da nach unterschiedlichen Faktoren gewertet. In zwei der vier Ranglisten geht es ausschließlich um wissenschaftliche Publikationen und Forschungsleistungen, in den beiden anderen wird auch noch die Lehre oder die Drittmitteleinwerbung sowie die Reputation mitbewertet. So etwas wie gesellschaftlicher Impact, die Öffentlichkeitsarbeit der Universität oder ihre breitere Wissensbilanz sind da keine relevanten Kategorien, zumal sie auch schwer operationalisierbar sind.

Macht nichts, könnte man meinen. Aber konsequent etwa im Zusammenhang von Karrieren Berufungen weitergedacht, könnte das vor allem dafür sorgen, dass Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die zusätzlich zu ihrer Forschung sich auch als Intellektuelle oder Wissenschaftsvermittler betätigen, weniger gut dastehen als "reine" Forscher mit einem womöglich etwas höheren Publikationsoutput. Denn für das Ranking zählt allein dieser Output.

Sehr viel existenzieller als die Rankings sind für die heimischen Universitäten die Leistungsvereinbarungen, die zwischen der jeweiligen Hochschule und dem Ministerium geschlossen werden. Und auch hier ist eine "öffentliche Universität", die sich in die Gesellschaft einbringt, nicht gerade die erste Priorität.

Öffentlichkeitsarbeit als Leistung?

In der noch bis Ende 2015 geltenden Leistungsvereinbarung der Universität Wien findet sich immerhin auch folgende Passage: "Es ist leitender Grundsatz der Universität Wien, der Kommunikation mit der Gesellschaft großes Augenmerk zu schenken, um das Interesse der Öffentlichkeit an aktuellen Forschungsergebnissen und Studienangeboten zu wecken und das Verständnis für die Wichtigkeit von Universitäten tief zu verankern."

Wie dieses Ziel erreicht werden soll, wird auch kurz umrissen: "Öffentlichkeitswirksame Darstellung der Wirkung von Forschung in verschiedenen Formaten, insbesondere im Rahmen der Festlichkeiten anlässlich der 650-Jahr-Feier der Universität Wien. Kooperative Projekte mit anderen Universitäten, die ebenfalls Jubiläen feiern, werden angestrebt." Auch der Zeitplan wird genannt: "laufend bis zur 650 Jahr-Feier der Universität Wien".

Dieses Jubiläumsjahr geht – eher ohne kooperative Projekte – in diesen Wochen zu Ende, so wie auch die aktuell gültige Leistungsvereinbarung, die für die Jahre 2013 bis 2015 abgeschlossen wurde. Die nächste Leistungsvereinbarung für die Jahre 2016 bis 2018 sollte bereits unter Dach und Fach sein, ist aber noch nicht veröffentlicht. Ich bin jedenfalls gespannt, wie die Universität Wien im 651., 652. und 653. Jahr ihres Bestehens mit der Gesellschaft kommunizieren wird. (Klaus Taschwer, 11.11.2015)