Wien – Der Haussegen in der Koalition hängt wegen der Flüchtlings-Debatte weiter schief. SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder forderte am Dienstag vor der Ministerratssitzung Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) dazu auf, bei der Schaffung von Flüchtlingsquartieren "einen Zahn zuzulegen". Die Ressortchefin verwies auf bereits getätigte Maßnahmen und kritisierte indirekt den 3-Punkte-Plan der SPÖ.
Schieder sagte vor Beginn der Regierungssitzung in Richtung Innenministerin, es sei dringend notwendig, Quartiere zu schaffen – und zwar ohne parteipolitische Rücksicht auf die Anliegen von Bürgermeistern (die sich gegen die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften in ihren Gemeinden stellen, Anm.). Der Klubobmann kritisierte, dass nach wie vor nur drei von neun Bundesländern die vereinbarte Quote bei der Flüchtlingsunterbringung erfüllen. "Das Durchgriffsrecht haben wir geschaffen, damit wir durchgreifen." Die Innenministerin solle hier nun "einen Zahn zulegen", sagte er.
Mikl-Leitner kritisiert SPÖ indirekt
Mikl-Leitner konnte dieser Kritik nicht folgen: Sie verwies darauf, dass die Regierung schon zahlreiche Quartiere geschaffen habe und auch weitere in Umsetzung seien. Gleichzeitig warnte sie davor, hier zu schnell vorzugehen, denn es brauche zur Schaffung von Quartieren Verhandlungen mit Beteiligten vor Ort. So gebe es zum Teil "exorbitante Preisvorstellungen" von Vermietern, hier dürfe man sich nicht unter Zugzwang bringen lassen.
Indirekte Kritik übte sie daran, dass die SPÖ am Wochenende ein eigenes Konzept (3-Punkte-Plan für sichere Grenzkontrollen) zum Umgang mit den Flüchtlingen vorgelegt hat: Sie habe sich an das Vereinbarte gehalten, nämlich zuerst ein Konzept auszuarbeiten, dieses dann dem Koalitionspartner vorzulegen und erst dann zu entscheiden.
Folgerichtig wollte sie am Dienstag auch keinerlei Auskünfte über den Inhalt des vom Innenressort ausgearbeiteten Konzepts zu den technischen Sperren beim Grenzübergang Spielfeld geben. Zu einem Bericht des "Kurier", wonach es sich um eine Sperre von 25 Kilometer Länge handeln soll, sagte sie: "Ich werde zu dem Konzept nichts sagen."
Entscheidung über "technischen Sperren"
Bestätigt wurde von ihr lediglich, dass es zur Umsetzung von derartigen Grenzsicherungen Verhandlungen mit den Grundstückeignern geben müsse, auf deren Grund die Sperren errichtet werden. Die Entscheidung über das Konzept für die "technischen Sperren" am Grenzübergang Spielfeld werde innerhalb der Regierung am Mittwoch fallen, sagte Mikl-Leitner. APA-Informationen zufolge ist für morgen um 9 Uhr ein Treffen mit ihrem "Spiegel", Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ), geplant.
Konfrontiert mit den Vorwürfen von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner, der der SPÖ wegen der öffentlichen Bekanntgabe ihrer Pläne zum Grenzmanagement "Profilierungsversuche" vorgeworfen und von "Chaos" gesprochen hatte, sagte Schieder, dies sei ein "falscher" Vorwurf. Die Politik sei gut beraten, sich der Sacharbeit zu widmen, anstatt gegenseitige Vorwürfe zu tätigen. Mikl-Leitner meinte, die Stimmung in der Koalition sei "fachlich-sachlich".
Gefragt, mit welchen Zahlen an Flüchtlingen sie in den kommenden Tagen rechne, sagte die Innenministerin, sie gehe davon aus, dass in den kommenden Tagen etwa 30.000 Flüchtlinge nach Slowenien kommen werden – und in weiterer Folge nach Österreich. Sie rechne daher mit 8.000 bis 10.000 Ankommenden pro Tag an der österreichischen Grenze. Sorgen, angesichts dieser Zahlen in Schwierigkeiten zu kommen, macht sie sich nicht: Bisher seien rund 440.000 Personen nach Österreich eingereist, und die Betreuung und Organisation der Reisenden sei "professionell" bewerkstelligt worden.
Faymann betont Hilfe vor Ort
Bundeskanzler Werner Faymann hat am Dienstag die Aufstockung der Gelder für internationale Hilfsorganisationen als ein Beispiel für die wichtige "Hilfe vor Ort" bezeichnet. Ergänzt um die Mittel, die im Rahmen von EU-Programme in eingesetzt werden, sollte "direkt, wo Flüchtlinge in den Regionen sind" geholfen werden.
Denn "am wirkungsvollsten" könne man "außen" – also außerhalb Europas – zu einer Lösung der Flüchtlingskrise beitragen, sagte er im Pressefoyer nach dem Ministerrat. Wichtig sei es, "direkt dort, wo die Flüchtlinge sind, in den Camps und Lagern", ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.
Grüne für Räume statt Zäune
Die Grünen wollen als bauliche Maßnahmen für Flüchtlinge lieber Räume statt Zäune. "Die Situation in Spielfeld braucht verbesserte Infrastruktur und Unterstützung vor Ort", sagte Parteichefin Eva Glawischnig am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Im Winter seien Warte- und Aufenthaltsräume notwendig. Glawischnig versteht zudem nicht, warum es nicht mehr Unterstützung durch das Bundesheer gebe.
Wie auch immer der Zaun heißen oder aussehen möge, er werde sicherlich ein Flop, ist Team Stronach-Klubobmann Robert Lugar überzeugt. Er hält strenge Kontrollen, Registrierungen und Rückschiebungen für geboten, wenn kein Asylgrund vorliegt. Das wäre "das Signal, dass drei Viertel derer, die kommen, nicht bleiben können".
FPÖ brachte Strafanzeige gegen Regierungsmitglieder ein
Die FPÖ hat am Dienstag wie angekündigt bei der Staatsanwaltschaft Wien eine Anzeige gegen Regierungsmitglieder wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch in der Handhabung der Flüchtlingskrise eingebracht. "Seit Anfang September konnten Hunderttausende Personen unkontrolliert über die Grenze nach Österreich einreisen", begründete FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache das Vorgehen.
Die Anzeige richtet sich gegen Mikl-Leitner wegen "vorsätzlicher Unterlassung der Vollziehung des Fremdenpolizeigesetzes", gegen Werner Faymann wegen Beitrags dazu sowie gegen Gerald Klug und Verantwortliche der ÖBB.
Sowohl die ÖBB als auch das Bundesheer transportierten Fremde durch Österreich. "Die nun praktizierte bewusste Nichtdurchführung der Kontrollen und Ausgleichsmaßnahmen gefährdet massiv die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Österreich", zitierte Strache die Anzeige in einer Pressekonferenz. (APA, 10.11.2015)