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FPÖ-Chef Strache bei einem Besuch im steirischen Grenzort Spielfeld, am Dienstag brachte er eine Anzeige gegen mehrere Regierungsmitglieder ein.

Foto: apa

Wien – FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat am Dienstag die angekündigte Anzeige gegen mehrere Regierungsmitglieder und "Verantwortliche der ÖBB" präsentiert. In der 16-seitigen Sachverhaltsdarstellung (siehe Download) wird der Verdacht des Missbrauchs der Amtsgewalt (Paragraf 302 Strafgesetzbuch) zur Anzeige gebracht.

"Seit 4. September 2015 konnten hunderttausende Migrationswillige ('Flüchtlinge'), die zum Gutteil in Nachbarstaaten nicht registriert wurden, unkontrolliert über die Grenze nach Österreich einreisen, weil die fremdenrechtlichen Bestimmungen nicht vollzogen wurden", heißt es zu Beginn des Schreibens an die Staatsanwaltschaft Wien.

"Vorsätzliche Unterlassung"

Die Rede ist weiters von der "vorsätzlichen Unterlassung der Vollziehung des Fremdenpolizeigesetzes", die zur Gefährdung der "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Österreich" führe. Strafbar sei nicht nur die "rechtswidrige Einreise in Österreich", sondern auch die Förderung derselben.

Explizit angeführt werden in der Anzeige Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ), "zumal das Bundesheer ebenfalls Fremde durch Österreich transportiert", Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP; "nahm durch die Unterlassung bewusst in Kauf, dass der im öffentlichen Interesse liegende Zweck des Fremdenpolizeigesetzes ... nicht erreicht wurde"), sowie Kanzler Werner Faymann (SPÖ; "verteidigte die rechtswidrige Unterlassung"). Außerdem wird die Justiz aufgefordert zu prüfen, ob auch die ÖBB wegen des "Transports von Fremden" zu belangen sei.

DER STANDARD hat den Strafrechtler Helmut Fuchs um eine Bewertung der Anzeige gebeten. Er sieht mehrere Gründe, warum Amtsmissbrauch im konkreten Fall "nahezu auszuschließen" sei.

  • Wissentlichkeit: Zunächst brauche es für das Delikt des Amtsmissbrauchs die Wissentlichkeit. Das heißt: Es muss einem Beschuldigten nachgewiesen werden, dass er es für gewiss hielt, etwas Verbotenes zu tun. Die derzeitigen Regelungen seien aber offenbar nicht auf Situationen mit zehntausenden Grenzübertritten pro Tag zugeschnitten. "Daher gibt es einen gewissen Vollziehungsspielraum". Außerdem gebe es viele Abwägungen, vor allem im internationalen Recht, die keineswegs so eindeutig seien, wie die Anzeige es meint. Wenn aber eine Rechtswidrigkeit nicht eindeutig sei, könne kaum eine Wissentlichkeit angenommen werden, sagt Fuchs.

  • Schaden: Außerdem müsse für eine Verurteilung nach Paragraf 302 Strafgesetzbuch vorsätzlich "ein Schaden an einem konkreten Recht" vorliegen, so der Experte. Es sei aber mehr als zweifelhaft, dass allein die Durchreise von – wenn auch vielen – Menschen zu einem konkreten Schaden für Österreich führe.

Zu berücksichtigen sei weiters: Gesetze können nicht vollzogen werden ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Flüchtlinge beziehungsweise auf das Leben der Menschen. Fuchs: "Bei dieser Menschenmenge könnte man bei der Einreise nur mit massivem Gewalteinsatz, letztlich mit Waffengebrauch, kontrollieren oder die Einreise verhindern." Der Gebrauch von lebensbedrohlichen Waffen wäre in solchen Fällen aber "eindeutig unzulässig", das sei klar durch das Waffengebrauchsgesetz geregelt.

Als "polemisch" wertet Fuchs den Hinweis in der Anzeige, es könne nicht an Polizeikräften fehlen, weil doch gleichzeitig noch ausreichend Personal vorhanden sei, um Geschwindigkeitskontrollen durchzuführen.

Der Strafrechtler resümiert daher: Schon die Pflichtverletzung sei zumindest zweifelhaft, vor allem aber fehle es wohl an einer Wissentlichkeit und damit am Amtsmissbrauch. Er wertet die Anzeige aber als "politisches Signal", das zu berücksichtigen sei. Aus seiner Sicht wäre es nun Aufgabe des Gesetzgebers, die neue Lage zu diskutieren und klare rechtliche Bestimmungen für die neuen Verhältnisse zu schaffen. (Günther Oswald, 10.11.2015)