Alain Badiou: Für ihn ist Theater eine "Maschine gegen Faulheit".

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Wien – Die einen halten Alain Badiou (78) für einen notorisch Unbelehrbaren. Auf gedanklicher Seite besitzt der französische Philosoph maoistische Wurzeln. Badiou weigert sich rundheraus, den Glauben an die "kommunistische Hypothese" aufzugeben. Den demokratischen Parlamentarismus setzt er mit der Verwaltung des Ist-Zustandes gleich. Für Errungenschaften wie den Verfassungsstaat hat Badiou wenig Wohlmeinung übrig.

Jede "echte" Politik, sagt Badiou, bedürfe zwingender Voraussetzungen. Ein "Ereignis" müsse stattfinden. Von einem solchen könne man sprechen, wenn Massen von Menschen "in unerwarteter Konsistenz" zusammenkommen. Ein vernünftiges Zusammenspiel von Institutionen sei, für sich besehen, noch keine Politik. Im Gegenteil, es müssen sich Akteure herausschälen. Diese vertreten Standpunkte gegeneinander und bestimmen so das Feld, auf welchem "gehandelt" wird.

Geheimnis des Theaters

"Körper und Stimme der Akteure", schreibt Badiou, seien unverzichtbar für jede politische Aktion. Akteure, welche für die Dauer ihrer Aktion benennbar bleiben, bürgen für die "Wahrheit" solcher Operationen, die sie anstoßen helfen -- und für die sie unverkennbar einstehen. Badiou nähert sich auf unvermutete Weise dem Geheimnis des Theaters. Er tut das in einer Schrift, die rund 25 Jahre nach ihrer Entstehung endlich im Wiener Passagen-Verlag auf Deutsch erschienen ist.

Der Text Rhapsodie für das Theater nennt sich im Untertitel "kurze philosophische Abhandlung" und umfasst 89 Paragrafen. Das Vorhaben ist wahrhaft paradox. Ein Meisterdenker betritt die Bühne, um über das zu sprechen, was eine Bühne ausmacht – eben dann, wenn auf ihr Theater gespielt werden soll.

Es ist dies die andere, nicht weniger plausible Wahrheit über Badiou. Der Hochschulprofessor hat, noch ehe er u. a. mit Das Sein und das Ereignis berühmt wurde, Romane und Stücke geschrieben. Im Zusammenwirken mit dem Theatermacher Antoine Vitez entstand zum Beispiel die Oper Der rote Schal, vertont von Georges Aperghis (1984). Badiou – ein Künstler?

Kein Wettkampf mehr

Der Denker auf der Bühne: Erst in dieser Zuspitzung entfaltet sich Badious Radikalität zur Gänze. Sein Entwurf einer Theorie des Theaters gleicht dem Versuch einer Wesensbestimmung, indem er die alte Polemik Platons gegen die Künste aufhebt und sie in ihr Gegenteil verkehrt. Badiou erspart sich das Rangmessen. Er erklärt Theater und Politik vorsorglich für wesensgleich.

Der Status des Theaters ist immer prekär. Es realisiert sich jeweils für eine bestimmte Zeitdauer. Nicht anders verhält es sich mit der Politik. Die Agonie, das zeitweilige Verschwinden der Politik, werde dadurch kaschiert, dass die staatliche Ordnung Dauerhaftigkeit bloß vorschützt. Was jedoch gehört zum Theater, damit es ein "Ereignis" sei und der "Wahrheit", die es zeigt, verpflichtet bleibt? Badiou denkt die Situation aus der Warte des Zuschauers zu Ende. Diesem wird durch die Bühnenkünste zu einer "Erhellung" des Moments verholfen. Er bildet den "leeren Punkt", von dem aus das Denken in seiner ganzen Fragilität in Gang gesetzt werden soll.

Indem das Theater zwischen der Welt und dem, was sie (noch) nicht ist, vermittelt, bildet es einen Riss. Wir öffnen uns, indem wir einer Aufführung beiwohnen, dem Anderssein, der "Alterität" von allem. Oder, wie Badiou sagt: Erst der Zuschauer macht an den Lücken des Spiels "die gewollte Entwicklung des Sinns" fest. Er wird, mit einem Wort, zum Interpreten der Interpretation. Theater kann nur politisch sein. Oder es ist eben kein Theater, für das man sich gerne den Hintern wundsitzt. (Ronald Pohl, 10.11.2015)