Wien – Spätestens in den 1970er-Jahren hörten neue Jeans auf, einfach nur dunkelblau zu sein. Bis dahin sah man den Kleidungsstücken, die einst die Arbeiter in den Goldminen des Wilden Westens und 100 Jahre später die Revoluzzer nach dem Vorbild James Deans trugen, durch ihre Abnutzung noch an, was sie alles hinter sich hatten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das anders. Die Arbeiterhosen wurden zum Beinkleid für jeden Anlass. Bald sahen sie bereits ab Werk so aus, als ob sie schon ein Arbeitsleben hinter sich hätten. Der Used Look kam in Varianten wie stonewashed, sandwashed und moonwashed, und er blieb bis heute.
Um die Jeans älter aussehen zu lassen, wurden sie speziellen Waschungen unterzogen, mit Chemikalien malträtiert und mit Sand bestrahlt – Verfahren, die mit einem zunehmend ökologisch orientierten Denken der Gesellschaft in Verruf gerieten.
Es wurde etwa nachgewiesen, dass das Beschießen der Textilien mit Sand die Lungen der Textilarbeiter angriff und vernarbte. Wie früher die Bergleute erkrankten sie an Staublunge, sogenannter Silikose. In der Türkei, wo das Sandstrahlen seit 2009 verboten ist, wurden zuvor zig Todesfälle nachgewiesen. Große Modeketten verzichteten daraufhin auf derart behandelte Waren. Das Sandstrahlen wurde großteils durch chemische Verfahren wie das Waschen mit Kaliumpermanganat, das den Indigofarbstoff bleicht, abgelöst. In Billiglohnländern werden dabei oft keine ausreichenden Schutzmaßnahmen angewendet.
Ein Spin-off-Unternehmen der Universität Innsbruck mit Sitz in Wien möchte hier einhaken. Acticell hat ein Verfahren entwickelt, das für helle Flecken auf Jeans sorgt, ohne dass Textilarbeiter oder Umwelt in Mitleidenschaft gezogen werden. Gründer Christian Schimper ist überzeugt, dass die Methode seines Start-ups gute Chancen hat, zum neuen Industriestandard für das partielle Aufhellen der Jeans zu werden. Sein Rezept ist der Natur abgeschaut: schnell arbeitende Enzyme, die den Farbton nicht bleichen, sondern die Indigomoleküle wieder aus dem Stoff herauslösen.
Angefangen hat alles mit Unterwäsche. Schimper war chemisch-technischer Angestellter am Institut für Textilchemie der Uni Innsbruck, wo er mit Institutsleiter Thomas Bechtold an einem Verfahren arbeitete, Zellulose durch Enzyme abzubauen. "Ziel war eine alternative Herstellung sogenannter Ätzstickereien, wie sie bei Büstenhaltern oder Reizwäsche zu finden sind", so Schimper. Bei diesen Textilien wird eine Form auf ein Gewebe aufgestickt. Das darunterliegende Gewebe wird dann durch aggressive Chemikalien weggeätzt, die eine Belastung für Kläranlagen darstellen. Die Forscher ließen das Gewebe stattdessen mithilfe von Enzymen, also speziellen Proteinen aus natürlichen Organismen, schnell abbauen. "Das hat funktioniert – auch wenn es die Erfindung damals nicht auf den Markt geschafft hat."
Schneller heller
Als Beschäftigter im Bereich der Textilindustrieforschung kam Schimper auch mit der Problematik des Bleichen von Jeans in Berührung. "Wir haben uns überlegt, unsere Enzymmethode dort einzusetzen. Das hat auf Anhieb funktioniert." Nachdem er in den Jahren davor ein Biotechnologiestudium und -doktorat an der Boku Wien nachgeholt hat, gründete er 2014 mit drei Kollegen und der Uni Innsbruck als Patenthalter das Unternehmen. Förderungen kamen von der österreichischen Förderagentur AWS und dem Start-up-Inkubator Inits, an dem Verkehrsministerium, Uni Wien, TU Wien und Wirtschaftsagentur Wien beteiligt sind.
Das Verfahren von Acticell zur partiellen Bleichung der Jeans hat den Vorteil, dass es auf einem Prozess aufsetzt, der bereits Teil der industriellen Produktion ist, erklärt der Gründer. Dort werden Jeans mittlerweile mit Enzymen behandelt, um den Indigoton des ganzen Kleidungsstücks graduell aufzuhellen. "Allerdings konnte man den Enzymen bisher nicht sagen, wo genau sie arbeiten sollen."
Schimper und sein Team haben nun eine Lösung entwickelt, mit der die Jeans an jenen Stellen bestrichen wird, wo sie stark aufgehellt werden sollen. Die Behandlung bewirkt eine Veränderung der Zellulosestruktur, sodass die Enzyme – sogenannte Zellulasen, die die Zellulose allmählich zersetzen und dadurch die Indigomoleküle herauslösen – schneller arbeiten können. Heraus kommen etwa tiefblaue Jeans mit hellen Flecken auf Schenkel und Hintern.
Die Enzyme können das Garn aber nicht heller färben, als es selbst ist. Im Unternehmen wurde deshalb noch an einem zweiten Verfahren geforscht, das nun patentiert wird. "Wir haben gesehen, dass die Industrie auch ein Verfahren will, das noch weißer bleichen kann. Also haben wir eine Lösung entwickelt, die man auf die Hose aufsprüht und die spezifisch den Indigofarbstoff bleichen kann", sagt Schimper. Dabei handle es sich um eine Mischung aus Salzen und Polymeren, die – wie die Enzymmethode – umweltfreundlich und biologisch abbaubar ist. "Die Lösung enthält keine Halogene, Chloride, Phosphate oder Sulfate, die in Kläranlagen Probleme machen würden. Dennoch wird der Farbstoff zerstört und die Zellulose darunter gebleicht."
Beide Verfahren wurden bereits mit dem bekannten Global Organic Textile Standard (GOTS) zertifiziert, der eine ökologische und sozial verantwortliche Textilproduktion sicherstellen soll. Mit großen Distributoren weltweit sei man bereits in Verhandlungen, es gebe Tests und erste Verträge, erklärt der Gründer. Allerdings werde es noch dauern, bis große Fertigungen mit einem Output von zigtausenden Jeans pro Woche umgestellt werden können. Anders ist das beim Entwicklungspartner, dem jungen Wiener Ökolabel Gebrüder Stitch, wo die Verfahren immer wieder getestet wurden. Hier ist die Produktion bereits vollständig auf das Enzymverfahren umgestellt. (Alois Pumhösel, 13.11.2015)