Ich bin, so wie viele, zu den Grünen gegangen, weil ich etwas verändern wollte. Und das will ich heute noch. Ich will, dass Menschen sich das Leben leisten können, dass es ein Auskommen gibt mit dem Einkommen. Mindestlöhne, Arbeitszeitverkürzung, Einkommensgerechtigkeit. Ich will Chancengleichheit auf allen Ebenen und ein Bildungssystem, das nicht jene nach vorn bringt, deren Eltern auch schon dort sind. Ich will, dass Armut bekämpft wird und nicht, wie es vielfach passiert, die Armen. Ich will, dass wir Menschen auf der Flucht als Menschen sehen und nicht als bedrohliche Zahlen einer Asylstatistik oder als Konkurrenz um das vermeintliche Stück vom Glück.

Ich bin nicht zu den Grünen gegangen, weil mir jemand eine "Bio macht schön"-Tasche geschenkt hat. Auch nicht, weil mich hübsche junge Menschen von Plakaten angelächelt haben. Und schon gar nicht, weil die Grünen am Besten reimen. Ich bin zu den Grünen gegangen, weil sie die Einzigen mit einer klaren Haltung waren.

Diese Haltung ist sicher noch da. Auf alle Fälle bei der Basis, die jeden Tag engagiert mit Menschen ins Gespräch kommt, mit Bürgerinitiativen zusammenarbeitet und Teil der kritischen Zivilgesellschaft ist. Aber es scheint, als ob uns der Mut verlassen hätte, diese Haltung auch in der Kommunikation offensiv nach außen zu tragen. Ja, quer durch die Stadt sind unsere Taschen sichtbar. Ist das ein Bekenntnis zu Grün? Kommt so unsere Botschaft an? Unsere Taschenträger sind nicht unsere Wähler. Die Grünen? Lieb und nett, ein wenig naiv und abgehoben. Inhaltlich? Bussi, Bussi.

Keine Bekenntnisscheu

Was passiert eigentlich gerade "da draußen"? Immer mehr Menschen legen die Scheu davor ab, sich offen zu Blau zu bekennen. Vor Jahren noch undenkbar. Ich erinnere mich gut an Report-Beiträge, in denen selbst nach blauen Erdrutschsiegen niemand in Simmering vor laufender Kamera sagen wollte, sie gewählt zu haben. Mittlerweile längst Realität. Die sozialen Medien haben diesen Wendepunkt begleitet. Die Großparteien haben darauf ähnlich schnell reagiert, wie Nokia auf die Smartphone-Umstellung. Und wir Grüne haben uns dort unsere kleine, feine eigene Welt erschaffen. Unsere Wohlfühlblase, in der wir uns und unsere Selfies gegenseitig selbst liken. Und die Welt "da draußen" ausblenden. Zwischen Cat-Content und Kinderherzen verlieren wir unsere Orientierung, zwischen Auffallen-um-jeden-Preis und in tiefgläubiger Marktforschungshörigkeit verlieren wir den Kontakt mit der Bevölkerung.

Grüne braucht es für gesellschaftliche Veränderung. Für Umverteilung, Chancengerechtigkeit, eine solidarische Gesellschaft. Das muss bei den Menschen auch ankommen. Nichts gegen Stofftaschen, sie dürfen aber nicht Inhalt unserer Politik werden. Was ich mir wünsche? Grüne mit Ecken und Kanten und dem Mut, diese auch zu zeigen. Und: Dass Menschen, die unsere Taschen tragen, sich denken: "Die Grünen? Das sind die für mehr Gerechtigkeit." (Joachim Kovacs, 10.11.2015)