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Wien – Die Zahl der älteren Arbeitslosen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Konjunktur, Pensionsreformen, EU-Arbeitsmarktöffnung – die Einflussgeber sind zahlreich. Nicht zuletzt ist auch die Demografie – der Umstand, dass es einfach mehr ältere Menschen gibt – ausschlaggebend.

Immer wieder wird auch das sogenannte Senioritätsprinzip als Mitverursacher verdächtigt. Eine Bevorzugung älterer Menschen durch automatische Lohn- und Gehaltsvorrückungen, Jubiläumsgeldern und anderen Renumerationen würde sie für Arbeitgeber vergleichsweise teuer machen, so die Vermutung. Um den Wahrheitsgehalt dieses Verdachts zu überprüfen und die politische und gesellschaftliche Debatte rund um die Altersarbeitslosigkeit zu versachlichen, hat das Institut für Höhere Studien (IHS) im Auftrag des Sozialministeriums heuer zwei entsprechende Studien erarbeitet.

IHS-Projektleiterin Gerlinde Titelbach hat mit ihren Kollegen dazu 30 der etwa 800 Kollektivverträge in Österreich ausgewählt und verglichen, die möglichst repräsentativ Arbeiter und Angestellte verschiedener Branchen abdecken – von Warenherstellung und Bau über Informatik und Kommunikation bis zu Gesundheit und Soziales. Gleich auf den ersten Blick offenbart sich dabei für Titelbach ein Zusammenhang, der dem Verdacht gegenüber dem Senioritätsprinzip stark zuwiderläuft. "In den Kollektivverträgen der Angestellten sind Senioritätsprinzipien in viel höherem Maß verankert als in jenen von Arbeitern. Auf der anderen Seite sind aber ältere Arbeiter viel öfter von Arbeitslosigkeit betroffen als Angestellte." Die Gruppe mit den höchsten Arbeitslosen profitiert also nicht vom Senioritätsprinzip.

Am stärksten sind die finanziellen Vorteile, die sich aus der Dauer der Betriebs- oder Branchenzugehörigkeit ergeben, im Banken- und Versicherungssektor, gefolgt von Handel, Handwerk und Metallgewerbe. Am anderen Ende des Spektrums liegen die Arbeiter am Bau, wo Senioritätsprinzipien praktisch nicht existent sind.

Die in den Kollektivverträgen festgeschriebenen Renumerationen sind aber vielfach nicht für die volle Bezugshöhe eines Arbeitnehmers verantwortlich: Betriebsvereinbarungen und freiwillige Überzahlungen, die die Erfahrung eines Mitarbeiters abbilden, gehören etwa nicht dazu. Wenn sich ein Mitarbeiter selbst mehr Geld erhandelt, fällt das nicht unter das Senioritätsprinzip.

Allerdings sind die bezahlten Löhne und Gehälter in Abhängigkeit vom Alter ohnehin nicht mehr dieselben wie vor 20 Jahren. "Die Kollektivlöhne haben sich in den vergangenen 15 Jahren verändert, und die Einkommenskurven sind flacher geworden", erläutert Helmut Hofer, wirtschaftspolitischer Sprecher des IHS und Koautor der Studie.

Länger im Betrieb bleiben

Eingeführt wurden die Senioritätsregeln einst, um Arbeitnehmer im Betrieb zu halten. "Der Deal war: Ich bezahle dich zuerst unter der Produktivität, im Lauf von zehn, 15 Jahren wird es mehr, und dafür bleibst du bei mir", veranschaulicht Hofer.

Ausgeklammert blieben in der Studie allerdings die Bediensteten des öffentlichen Sektors, wo das Senioritätsprinzip mutmaßlich stärker ausgeprägt ist. "Die hohe Arbeitslosigkeit im Alter war der Anlass für die Studie. Beamte werden nicht arbeitslos. Sie tragen zu keinem Arbeitslosigkeitsproblem bei, sondern vielleicht zu einem Kostenproblem", erklärt Hofer.

Eine weitere Studie des IHS fokussiert auf die Wiederbeschäftigung im fortgeschrittenen Alter. "Der Vergleich zeigt, dass Personalabgänge von Älteren weniger oft vorkommen als von Jungen. Aber wenn die älteren Menschen einmal arbeitslos sind, dann ist die Wahrscheinlichkeit auf eine neue Beschäftigung deutlich geringer", so die IHS-Experten.

Unternehmen mit steileren Senioritätsprofilen verbuchen dabei höhere Abgangsraten in die Pension als in die Arbeitslosigkeit. Der erhöhte Kündigungsschutz von Älteren, der von Unternehmern oft als Problem gesehen werde, sei laut Wirtschafts- und Arbeiterkammer de facto kaum ein Problem. Es gebe so gut wie immer Einigungen, sagt Titelbach. Und: "Von den Älteren würden sehr wohl Lohn- und Gehaltsreduktionen in Kauf genommen, in höherem Ausmaß als bei Jungen."

Wie könnte man also Arbeitslosigkeit Älterer vermeiden? "Wenn die Arbeitslosigkeit bereits aufgetreten ist, ist es zu spät", so Hofer. Der Maurer, der mit 60 einen kaputten Rücken hat, hätte schon mit 45 umgeschult werden müssen. In manchen Betrieben gebe es bereits Gesundheitsprogramme, die auf einen möglichst langen Erhalt der Arbeitskraft abzielen. Bei instabilen Karrieren mit mehreren arbeitslosen Phasen müsse früher entgegengesteuert werden.

"Eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters könnte sich sogar positiv auswirken, sofern sich die Arbeitnehmer früh genug darauf einstellen können", so Hofer. Viele Ältere würden sich das Erlernen von Neuem mit 55 nicht mehr antun, mit dem Argument, dass es sich nicht mehr auszahle. Die Perspektive einer längeren Arbeitszeit würde diese Scheu vielleicht abschwächen. (Alois Pumhösel, 13.11.2015)