Indien war während der NS-Zeit zwar die drittwichtigste Fluchtdestination Asiens, für die meisten Schutzsuchenden aber alles andere als ein Wunschziel. Das exotische Riesenland galt als "hardship-exile", in dem neben den üblichen Belastungen der Flucht wie Traumatisierung und sozialer Abstieg auch noch ein extremes Klima, gefährliche Krankheiten, die Bedrohung durch Schlangen, Insekten und Ungeziefer sowie ein höchst instabiles politisches System auf die Immigranten warteten.

Gleichzeitig existierte in den 1930er-Jahren bereits eine Reihe von Netzwerken zwischen Indien und den deutschsprachigen Ländern – etwa in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst, Religion oder Medizin -, die für viele Flüchtlinge den Weg nach Indien ebneten und ihnen das Leben in diesem schwierigen Exil erleichterten. Aber diese Netze waren grob gewebt und fingen bei weitem nicht alle Hilfesuchenden auf. "Deshalb verliefen die Biografien der einzelnen Flüchtlinge in Indien auch sehr unterschiedlich", so die Zeithistorikerin Margit Franz.

Ihre rund 450 Seiten starke Monografie Gateway India ist das Ergebnis jahrelanger Recherchen über die Schicksale deutschsprachiger Asylanten in Indien, die dortigen Lebensbedingungen, persönliche und institutionelle Netze sowie die schwierigen Rahmenbedingungen in diesem von Hautfarbe, Klasse und Geschlecht tief gespaltenen Land. "Wenn die Exilanten im damaligen British India ankamen, wurden sie schlagartig von Verfolgten zu 'weißen Sahibs'", berichtet Franz, die selbst fünf Jahre in Indien gelebt hat. "Neuankömmlinge wurden darauf hingewiesen, dass sie hier als Weiße nicht ohne Privatdiener leben, zu Fuß gehen oder Handarbeit verrichten können."

Die Engländer, deren Kolonialherrschaft auf der vermeintlichen Überlegenheit der weißen Rasse aufgebaut war, wollten ihr System nicht durch arme weiße Einwanderer unterminiert sehen. Etliche Wissenschafter bekamen mithilfe akademischer Netzwerke gut dotierte Anstellungen, wie etwa der Chemiker Ludwig Wolf oder der Atomphysiker Hans Lessheim. Den beiden Nobelpreisträgern für Physik Erwin Schrödinger und Max Born dagegen wurde aus unterschiedlichen Gründen das Exil in Indien verwehrt. In ihrem Buch beschreibt die Grazer Zeithistorikerin auch eine ganz andere Gruppe deutschsprachiger "Expats" im Indien der 1930er-Jahre: die Mitglieder und Unterstützer der Auslandsorganisation der NSDAP in Kalkutta und Bombay.

"Das Hauptquartier der Nazis in Bombay war bei der holländisch getarnten I. G. Farben untergebracht", erinnert sich der deutsche Flüchtling Ernst Schäffer. Die Organisation "ließ uns Emigranten wissen, dass sie uns beobachten würde, und wir sollten nicht vergessen, dass wir noch Angehörige in Deutschland hätten".

Margit Franz führt die Leser in ihrem bis zur letzten Seite spannenden Buch in zeithistorisches Neuland, in Exilgeschichten und -geschichte, die so abenteuerlich und fantastisch anmuten, dass man sich wundert, warum sich die Forschung für dieses Kapitel der jüngeren Geschichte bis jetzt so gut wie nicht interessiert hat.

Der Boden für weitere Vorstöße ist mit diesem Buch und seiner umfangreichen Quellensammlung nun jedenfalls bereitet. (Doris Griesser, 11.11.2015)