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Der Sozialist António Costa (Mitte mit Brille) dürfte Portugals neuer Premierminister werden.

Foto: Reuters

Madrid/Lissabon – "Sieg! Sieg!", der Jubel war nicht zu überhören. Tausende Menschen waren einem Aufruf der portugiesischen Gewerkschaft CGTP gefolgt, um die Parlamentsabstimmung zu feiern, die den konservativen Regierungschef Pedro Passos Coelho am Dienstagabend zu Fall gebracht hatte. Getrennt von einem Polizeispalier waren auch seine Unterstützer gekommen. Sie verließen mit langen Gesichtern den Platz. Die zweite Amtszeit ihres Passos Coelho hatte gerade elf Tage gedauert, bis er bei der Vorstellung seines erneuten Sparprogramms von der linken Parlamentsmehrheit aus Sozialisten (PS), dem Linksbündnis Bloco und der kommunistisch-grünen CDU abgewählt wurde.

Jetzt steht – wenn Cavaco Silva dies absegnet – dem Sozialisten António Costa die Tür zum Amt des Ministerpräsidenten offen. Der ehemalige Bürgermeister von Lissabon hat in den vergangenen Wochen erfolgreich ein Bündnis links der Mitte geschmiedet und kann dabei auf 122 der 230 Abgeordneten setzen. Erstmals seit 40 Jahren einigten sich die Sozialisten mit den Kommunisten.

"Die Portugiesen wollen Veränderung", erklärte Costa nach der Abstimmung. Grundlage für seine Regierung sind drei Abkommen, die Costa mit dem Linksblock, der kommunistischen PCP und deren Partner, der Ökologischen Partei Die Grünen (PEV), ausgehandelt hat. Allen gemein ist der Wunsch, dass der Pakt die "Perspektive einer Legislatur" habe. Die Partner der Sozialisten verpflichten sich ausdrücklich, egal was geschieht, an keinem Misstrauensvotum gegen Costa teilzunehmen.

Komplexe Vereinbarung

Costa wird in Minderheit unter Duldung der drei Partner regieren. Der Bloco, ein Sammelbecken radikaler Linker, ähnlich der griechischen Syriza, sowie die als außerordentlich orthodox geltenden Kommunisten erreichten im Gegenzug die Zusage Costas, nichts zu unternehmen, "was der Arbeiterklasse und den Rentnern schadet". 69 der 74 Mitglieder des Parteivorstandes der Sozialisten unterstützen Costas Bündnis.

Das Herzstück des Abkommens ist eine lange Liste von Maßnahmen, "um die Tendenz umzukehren". Weite Teile des Austeritätsprogramms, das in den vergangenen Jahren unter Druck der Troika im Gegenzug für ein Rettungspaket von 78 Milliarden Euro durchgeführt wurde, sollen zurückgenommen werden. So sollen unter anderem die Pensionen ab dem 1. Jänner wieder an die Preissteigerung angepasst, Steuerabgaben für Pensionisten gestrichen, Sozialhilfe für Schlechtverdienende wieder eingeführt und die Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst schrittweise zurückgenommen sowie die 35-Stunden-Woche für Staatsbedienstete eingeführt werden.

Teile der Arbeitsmarktreformen der Vorgängerregierung werden überarbeitet. Die Gewerkschaften werden wieder mehr Rechte haben. Tarifverträge werden wieder verpflichtend. Vier Feiertage, die im Laufe der Sparmaßnahmen gestrichen wurden, werden wieder eingeführt.

Spitalsgebühren fallen

Auch im Gesundheitswesen wird sich einiges ändern. Zuzahlungen im Krankenhaus entfallen; Abtreibungen werden wieder kostenfrei. Privatisierungen, wie die der Wasserversorgung, des Fernbussystems oder der U-Bahn in Porto, werden nicht stattfinden. Der Verkauf der staatlichen Fluggesellschaft TAP wird gestoppt.

All das soll von einer Steuerreform begleitet werden. Die Einkommenssteuer für Besserverdienende wird steigen. Passos Coelho hatte die Steuerprogression von acht auf fünf Stufen gesenkt. Jetzt soll wieder mehr Progressivität Einzug halten. Außerdem wird bald eine Erbschaftssteuer für Vermögen von mehr als einer Million Euro fällig. Nur bei der Mehrwertsteuer will das Bündnis von Costa Erleichterung verschaffen. Eine Senkung des Betrags von 23 auf 13 Prozent im Hotel- und Gaststättengewerbe soll die Wirtschaft ankurbeln.

Nach der Niederlage seines Parteifreundes Coelho wird Staatspräsident Cavaco Silva jetzt alle Parteien zu Gesprächen laden. Es gilt als wahrscheinlich, dass er Costa mit der Regierungsbildung beauftragt. (Reiner Wandler, 11.11.2015)