Sind die Grünen in der Ausländerdebatte zu weich? Eva Glawischnig sieht keinen Grund für eine Kurskorrektur: "Es ist Aufgabe der Grünen zu überzeugen – und nicht, jemandem nach dem Mund zu reden."

foto: florian lechner

STANDARD: Kommende Woche steht Ihre dritte Wiederwahl zur Parteichefin an. Frei nach Ihrer Wiener Kollegin Maria Vassilakou: Bei welchem Ergebnis treten Sie zurück?

Eva Glawischnig: Bei meiner ersten Wahl 2009 haben mir die Grünen mit 97,4 Prozent ein großes Geschenk überreicht. In Kenntnis der grünen Seele sage ich: So viel wird es diesmal nicht. Zum Nachdenken würde ich bei einem Resultat unter 70 Prozent anfangen – was allerdings unrealistisch ist.

STANDARD: Obwohl sie versprach, bei einem Verlust abzutreten, handelt Vassilakou nun mit der SPÖ eine Koalition aus. Zerstört das nicht die grüne Glaubwürdigkeit?

Glawischnig: Ihre Ankündigung war mit Sicherheit vollkommen unnötig, weil ja klar war, dass sich wegen der manipulierten Meinungsumfragen alles auf ein Match SPÖ gegen FPÖ zuspitzt. Als durchsetzungskräftige Verkehrsstadträtin hätte Vassilakou das auch gar nicht nötig gehabt.

STANDARD: Die Grünen stagnierten heuer bei den Wahlen. Warum?

Glawischnig: Im Burgenland, in der Steiermark und in Oberösterreich haben wir sehr wohl dazugewonnen, wenn auch nicht so viel wie in den Jahren davor. IS-Terror und Flüchtlingskrise sind für uns alles andere als einfache Themen.

STANDARD: Die Grünen haben Flüchtlinge doch immer als Kernkompetenz angesehen, in Wien aber lieber den mit Kussmündern übersäten Jungkandidaten Julian Schmid plakatiert. Sind auch diese Wohlfühlkampagnen schuld?

Glawischnig: Bei unseren Kampagnen geht manchmal etwas daneben, das gehört dazu. Das Schmid-Plakat aber habe ich als Plädoyer für Gleichstellung verstanden, und ich glaube auch, dass die Debatte zu kurz greift. Was die Flüchtlinge betrifft, mache ich den Wienern schon gar keinen Vorwurf: Die Landespartei hat sich trotz Wahlkampfes zivilgesellschaftlich bis zur Erschöpfung engagiert.

STANDARD: Sie haben Deutschland und Angela Merkels "Wir schaffen das" als Vorbild gerühmt. Nun will Berlin syrische Flüchtlinge aber doch wieder ins erste EU-Land zurückschicken. Sind Sie enttäuscht?

Glawischnig: Nicht nur Deutschland, ganz Europa steht vor einer Richtungsfrage, denn in allen Ländern wird das Flüchtlingsthema auch missbraucht. Deswegen muss man sich hier auf die richtige Seite stellen – Merkel hat das getan und Europa ein anderes Gesicht als das von Viktor Orbán oder Jaroslaw Kaczynski gegeben.

STANDARD: Aber was würden Sie nun tun? Haben Staaten wie Deutschland und Österreich denn eine andere Wahl, als die Asylpraxis zu verschärfen?

Glawischnig: Die Strategie kann nur heißen: Helfen auf allen Ebenen. Dazu gehört der Einsatz für eine Lösung im Syrienkonflikt, eine Koalition der Willigen in der EU für eine Verteilung der Flüchtlinge und das Engagement in den Krisenregionen, für das die Regierung endlich die zugesagten Hilfsgelder auf den Tisch legen soll.

STANDARD: Sie weichen aus. Auf die internationale Lösung hoffen alle, doch bis dahin müssen die einzelnen Länder mit dem Andrang zurande kommen. Was, wenn die Kapazitäten erschöpft sind?

Glawischnig: Fragt sich, welche Kapazitäten? Am Grenzübergang Spielfeld gibt es ja nicht einmal die nötigste Infrastruktur. Die Regierung könnte bedeutend mehr tun, als dort Gitter aufzustellen. Flüchtlingskoordinator Christian Konrad hat recht, wenn er sagt: Österreich ist eine Schönwetterrepublik, die mit komplexen Problemen schwer umgehen kann. Wir erleben ein Politikversagen, weil es keine Bundeszuständigkeit bei Katastrophen gibt, dafür aber eine überforderte Innenministerin.

STANDARD: Ihr Sicherheitssprecher Peter Pilz meint, die Grünen dürften die Angstwähler nicht den Blauen überlassen, sondern müssten auch die Probleme bei der Integration benennen. Braucht es einen "linken Populismus"?

Glawischnig: Ich halte nichts von einem linken Populismus und glaube auch nicht, dass Pilz' Forderung durchdacht ist. Probleme benennen ja, aber das ist weit entfernt von Populismus. Es ist Aufgabe der Grünen, einen Teil der Gesellschaft von unserer Haltung zu überzeugen – und nicht, jemandem nach dem Mund zu reden. Das wäre mir zutiefst zuwider.

STANDARD: Aber was tun, wenn muslimische Mädchen nicht in den Schwimmunterricht dürfen oder Zuwanderer Ärztinnen oder Polizistinnen nicht akzeptieren?

Glawischnig: Keine Frau in Österreich braucht sich da etwas gefallen zu lassen. Wenn man mir konkrete Fälle nennt, bin ich die erste, die zu Zivilcourage aufruft. Ich wehre mich nur dagegen, wenn in diesem Zusammenhang dann von integrationsunwilligen Kindern die Rede ist – denn Kinder wollen immer dabei sein. Gerade in Wien kursieren so viele falsche, aufgebauschte Geschichten.

STANDARD: Könnten die von Integrationsminister Sebastian Kurz geplanten Wertekurse da helfen?

Glawischnig: Natürlich sollen den Menschen unsere Grundrechte nähergebracht werden. Aber die Wertekurse sind doch nur eine PR-Bombe des Sebastian Kurz. Die Stadt Wien investierte 2014 rund dreimal so viel in Deutschförderung wie Kurz im gesamten Bundesgebiet zusammen. Daher sag' ich dem Minister: Mach einmal deine Hausaufgaben!

STANDARD: Der türkischstämmige Bundesrat Efgani Dönmez hat oft Integrationsprobleme benannt, wurde in Oberösterreich aber nicht mehr gewählt. Stoßen die Grünen ihre kritischen Geister ab?

Glawischnig: Es gibt kein Recht auf ein Mandat, jeder Mandatar muss sich stets von neuem bewerben. Die oberösterreichische Basis hat eine andere Wahl getroffen – die Gründe kenne ich nicht. Ich persönlich war bei seinen politischen Beiträgen gespalten: Manche waren clever, andere einfach daneben – so etwa das One-Way-Ticket für Erdogan-Anhänger.

STANDARD: Pilz sagt: Viele, die nie auffallen, müssen nie ums Mandat zittern. Jene, die anecken, schon.

Glawischnig: Wenn kritische Frauen nicht wiedergewählt wurden, ist ihm das noch nie aufgefallen, nur bei Männern beklagt er sich. Peter Pilz sollte einmal an seiner Gender-Perspektive arbeiten.

STANDARD: Für die geplante Bildungsreform braucht die Regierung die Grünen als Beschaffer einer Zweidrittelmehrheit im Parlament. Wie lautet Ihre Bedingung?

Glawischnig: Wenn keine Entpolitisierung des Bildungssystems stattfindet, werden die Grünen nirgends zustimmen. Dass die Landesschulräte weiterhin von den Parteien bestimmt werden, ist ein absolutes No-Go. Unser Frustlevel ist ohnehin schon hoch, weil alles so lange dauert. Wir sind auch bereit, jenen Passus aus den Sechzigerjahren abzuschaffen, laut dem bei Schulorganisationsgesetzen eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig ist.

STANDARD: Da nehmen Sie sich die Grünen aber selbst aus dem Spiel.

Glawischnig: Das ist uns bewusst, aber das Ziel ist wichtiger. Die Absicherung per Zweidrittelmehrheit führt zur ständigen Blockade.

STANDARD: Mitmischen wollen die Grünen bei der Präsidentenwahl nächstes Jahr: Haben Sie Alexander Van der Bellen schon weichgeklopft, damit er kandidiert?

Glawischnig: Den Schnitzelklopfer, mit dem das geht, hätt' ich gern. (Gerald John, Nina Weißensteiner, 13.11.2015)