Dunkel, satt und edel interpretiert Elīna Garanča ihre Mezzosopranrolle als Charlotte in Jules Massenets Oper "Werther". Eine gelungene Wiederaufnahme.

Foto: Michael Pöhn

Wien – Weihnachten, eine der großen emotionalen Herausforderungen des Jahres, rückt rücksichtslos näher. Passend dazu ist an der Wiener Staatsoper wieder Werther zu erleben: jenes lyrische Musikdrama, welches just an Heiligabend mit einer totalen Eklipse zweier Herzen endet. Jules Massenets Oper nach Goethes Großerfolg Die Leiden des jungen Werther wurde 1892 an der Wiener Hofoper uraufgeführt, 2005 hat Andrei Șerban das Werk hier neu gedeutet, mit Elīna Garanča als Star der Produktion.

Zwischenzeitlich haben sich Sophie Koch oder, wie im letzten März, Angela Gheorghiu als Charlotte in Peter Pabsts baumbeschirmter Petticoatwelt umgetan, nun durfte sich die lettische Mezzosopranistin wieder auf der dottergelben Hollywoodschaukel einer ersten Kussattacke erwehren. Garanča, die große, idolhafte Unnahbare, tat dies energisch, auch beim zweiten Versuch war Matthew Polenzani als Werther kein längeres orales Vereinigungsglück gegönnt.

Garanča gab die Charlotte natürlich souverän; dunkel, satt und edel betörte ihr Mezzo, der so makellos war wie ihr Äußeres. Eindrucksvoll auch die dramatische Kraft, die sie ab dem dritten Akt zeigen durfte. Polenzani verfügt vielleicht nicht über das gewinnendste, glänzendste Timbre, agierte aber intensiv – ganz vokaler Sturm und Drang. Er folgte den dynamischen Veränderungen des veränderungsfreudigen Staatsopernorchesters wie ein Schatten.

Markus Eiche gab als Albert den, der Garanča im Schatten des Riesenbaums bekommt; der Deutsche gewann Charlotte mit rundem, glänzendem Bariton als Gattin. Zwei Nummern zu klein für dieses Haus schien Hila Fahima als schülerinnenhafte, präsenz- und ausstrahlungsarme Sophie. Da half auch ein phasenweise glänzender Sopran nicht wirklich.

Das Staatsopernorchester agierte unter der Leitung von Frédéric Chaslin mit einer sinnlichen Freude am Job: Da loderten die Flammen der Leidenschaft, da schmorte die arme Charlotte in der orchestralen Gluthölle des Ehegefängnisses. Wurde auf der Bühne langsam Winter, so herrschte im Graben ewiger, dauerblühender Frühling. Einzigartig. Begeisterung für alle. (Stefan Ender, 12.11.2015)