Wien – Die Kunst bestehe nicht darin, Antworten zu geben, sondern die richtigen Fragen zu stellen, meinte der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg in seiner Rede, mit der er Mittwochabend die Buch Wien eröffnete. Schließlich sei es, so Muschg, der in seinem Vortrag auch die Themen Digitalisierung und Wissensnormierung im Schulbetrieb anschnitt, eine Frage, die Parzival in Wolfram von Eschenbachs Epos, mit dem er sich seit langem auseinandersetze, den Gral einbringt. Sie lautet: "Onkel, was fehlt euch?" Um Verwandtschaft und Mitleid also geht es, letzteres wird der als Dümmling in eine vermeintlich ritterliche Welt hinausstürmende Parzival erst schmerzlich lernen müssen. Das seiner Rede den Titel gebende "Lesen", daran ließ Muschg keinen Zweifel, heißt immer – auch – sich selber lesen.

Um Zweifel und Selbsterkenntnis ging es auch beim Gespräch zwischen Oliver Tanzer und dem Prager Ökonom Tomás Sedlácek, die moderiert von Renata Schmidtkunz den Auftakt zur parallel zur Buch Wien laufenden "Lesefestwoche" bestritten. Lilith und die Dämonen des Kapitals lautet der Titel des gemeinsam geschriebenen Buches, in dem die Autoren unsere Ökonomie auf Freuds Couch Platz nehmen lassen und eine Reihe von Störungen diagnostizieren. Etwa Manie und Depression, Kleptomanie, Narzissmus, Spielsucht. Nun ja, ganz neu ist das nicht – was Sedlácek/Tanzer, die ihre Thesen mit Beispielen aus Mythen und Epen stützen, auch nicht behaupten.

Erstaunlich hingegen, dass die mehrfach aufgeworfene Frage "Cui bono?" nach etwaigen Nutznießern der ökonomischen, sozialen und ökologischen Verwerfungen offenblieb. Gestellt immerhin wurde sie. Buch Wien und Lesefestwoche bieten bis Sonntag ein breites Lese-Programm. (steg, 12.11.2015)